Jodeln und Juwelen
Abend keine Schande
zu machen. Lisbet Quainley hatte etwas ziemlich Scheußliches mit ihrem Haar
angestellt und ihren dünnen Körper in einem langen olivgrünen Schlabberrock und
einem langen gelbgrünen Schlabbertop versteckt. Anscheinend verließ sie sich
zum Warmhalten auf ihren Schmuck. Davon trug sie wirklich mehr als genug. Genau
dieselben Klunker und Kugeln, über die auch Klein-Em stets in Entzücken geriet.
Emma bedauerte, dass sie ihre eigene Kollektion nicht angelegt hatte.
Joris Groot und Black John Sendick
sahen in ihren Hosen und Sportsakkos durchaus präsentabel aus. Sie trugen keine
Krawatten, doch Emma hatte schließlich nicht mit einem Wunder gerechnet.
Jedenfalls wirkten die Hemden sauber.
Graf Radunov erschien in weißer
Smokingjacke, marineblauer Hose und roter Fliege und war, wie nicht anders zu
erwarten, der Fleisch gewordene Traum jeder Gastgeberin. Sie musste ihn
unbedingt gegenüber von Mrs. Fath mit ihren Hähnen platzieren, entschied Emma.
So würde die Tafel optisch wenigstens ein bisschen ausbalanciert, falls dies
überhaupt möglich war.
Es war Emma nicht unlieb, dass Everard
Wont noch nicht aufgetaucht war. Sie wollte gerade Radunov bitten, ihr bei den
Drinks behilflich zu sein — er hätte durchaus irgendwann in seinem Leben
Kellner gewesen sein können — , als sie sah, dass Vincent zurück war und sich
bereits seiner Arbeit widmete.
»Was darf ich Ihnen bringen, Mrs.
Kelling?« erkundigte er sich.
»Einen sehr leichten Gin Tonic bitte.
Mit einem Scheibchen Limone.«
Sie hätte fast den Faux pas begangen
und »wenn Sie eine haben« hinzugefügt, ertappte sich jedoch rechtzeitig.
Selbstverständlich hatte Vincent für frische Limonen gesorgt. Er hatte sicher
auch ihren kleinen Wink verstanden, die Getränke nicht zu stark zu machen, doch
wahrscheinlich hätte sie ihm auch in diesem Punkt kaum einen Rat zu geben
brauchen. Emma hätte liebend gern gewusst, was er mit dem geheimnisvollen
Fremden angestellt hatte, doch es war kaum der geeignete Zeitpunkt, sich danach
zu erkundigen. Wenigstens wusste Vincent jetzt, dass sie sich den Mann am Pier
nicht eingebildet hatte. Wie gut, dass ihr noch rechtzeitig eingefallen war,
dass er möglicherweise einen Taucheranzug getragen hatte! Wie merkwürdig, dass
der Mann Everard Wont so verblüffend ähnlich sah, auch wenn es vor allem an
seiner Figur und seinem Bart lag.
Vincent reichte ihr ein Glas. Natürlich
mit Limone. »Is’ es so recht, Mrs. Kelling?«
Emma nippte und nickte. »Wunderbar.
Vielen Dank, Vincent.«
Mit dem Glas in der Hand mischte sie
sich unter die Gäste und machte die Art höfliche Konversation, die man
normalerweise mit Leuten macht, die man gerade erst kennen gelernt hat. Sie
erkundigte sich, ob sie mit ihren Cottages zufrieden seien. Sie waren. Sie
lobte die herrliche Aussicht. Die anderen waren ganz ihrer Meinung. Sie fragte
sich, ob das Wetter morgen wohl schön werden würde. Alding Fath sagte, es werde
schön, gab jedoch zu, diese Information nicht ihren übersinnlichen Kräften zu
verdanken, sondern der Tatsache, dass sie in dem kleinen Transistorradio, das
sie von zu Hause mitgebracht hatte, die Wettervorhersage gehört habe. Mrs. Fath
trank ihren Tonic stets ohne Gin, wie sie den anderen erklärte. Alkohol störe
ihre Schwingungen, und sie wolle Everard nicht enttäuschen, da er schon so lieb
gewesen sei, ihr die Fahrt zu bezahlen.
Emma wusste nicht genau, wie sie
reagieren sollte, und erkundigte sich daher: »Wie lange wird es Ihrer Meinung
nach dauern, bis Sie mit den Geistern Kontakt aufnehmen?«
»Oh, ich glaube nicht, dass es dazu
überhaupt kommen wird. Das meiste Gerede über Geister ist barer Unsinn, wissen
Sie. Es ist nicht die Entität, die zurückbleibt, soweit ich dies aus meinen
eigenen Erfahrungen sagen kann, sondern nur ein Teil der einstigen Person. Ein
bisschen wie ein alter Socken, der noch in der Ecke eines Schrankes liegt, wenn
Sie wissen, was ich meine.«
»So habe ich es noch nie gesehen«,
meinte Emma, die sich nicht erinnern konnte, überhaupt je einen Gedanken an
Geister verschwendet zu haben. »Kann man sie dann nicht einfach wegräumen, wenn
ich es einmal so ausdrücken darf?«
»Sicher. Es ist kinderleicht, Geister
loszuwerden. Doch Sie können sich gar nicht vorstellen, wie viele Menschen
gerade das nicht wollen. Sie hängen an ihren Geistern wie manche Leute an alten
Zigarrenkistchen. Zu Königin Viktorias Zeiten machte man um Übersinnliches ein
Riesenspektakel, wissen
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