Jodeln und Juwelen
hereinkommen sahen, standen
beide Männer auf, nicht im Geringsten verlegen, dass man sie bei etwas ertappt
hatte, was völlig normal war.
»Lassen Sie sich bitte nicht stören«,
sagte Emma überflüssigerweise. »Ich wollte den Mädchen nur sagen, dass sie im
Salon abräumen können, und mich nach dem Fremden erkundigen. Kann er sich
inzwischen wieder an etwas erinnern?«
»Sein Gedächtnis wird sich schon
melden, wenn ihm danach is’«, knurrte Vincent. »Er schläft heut’ Nacht in der
Vorratskammer. Neil und Ted haben ihm ein Feldbett reingestellt und ihm alles
Nötige gegeben. Sie sind jetzt weg, um nach den Cottages zu schauen. Wir sehn
immer noch schnell überall nach dem Rechten, bevor wir ins Bett gehen. Wir
schlafen übrigens alle im Anbau, Sie sind also nich’ allein in dem Haus.«
»Freut mich zu hören.«
»Aber wir stören Sie bestimmt nich’.
Und der Kerl auch nich’.« Vincent wies mit dem Kopf in die Richtung, in der
sich wahrscheinlich die Vorratskammer befand. »Ich hab’ die Tür abgeschlossen.«
»Sehr vernünftig«, lobte Emma. »Ich
nehme an, es gibt keine Fenster in dem Raum.«
»Lüftungsschlitze oben in den Wänden.
Da muss er halt bleiben, bis meine Jungs ihn abholen. Ich hab’ sie angerufen
und ihnen Bescheid gesagt. Sie kommen vorbei und bringen ihn aufs Festland,
wenn sie fertig mit Hummerfischen sind. Ich kann nicht verlangen, dass sie
ihren ganzen Morgen opfern.«
»Nein, das kann man wirklich nicht
erwarten.« Emma fühlte sich irgendwie schuldig, obwohl sie nicht genau wusste,
wovon Vincent sprach. »Ich würde übrigens gern noch einmal versuchen, ihm ein
paar Informationen zu entlocken, bevor wir ihn gehen lassen.«
»Ich auch.«
Vincent warf einen Blick auf seinen
erkaltenden Kaffee. Emma verstand den Wink.
»Aber damit warten wir besser bis
morgen früh. Gute Nacht zusammen.«
Emma schleppte sich die Treppe hinauf
und hatte Angst einzuschlafen, bevor sie oben ankam. Doch als sie endlich in
ihrem Zimmer war, verspürte sie merkwürdigerweise keine Lust mehr, sich
hinzulegen. Es dauerte ziemlich lange, bis sie sich endlich ausgezogen hatte
und ihre Perücke auf dem dazugehörigen Ständer geparkt hatte. Emma besaß zwar
genug eigenes Haar, sah jedoch nicht ein, warum sie ihre Zeit beim Friseur
verschwenden sollte, wo es doch viel effektiver war, die Haare allein zu
schicken. Wahrscheinlich hatte sie in diesem Sommer keine Möglichkeit, einen
Beautysalon aufzusuchen, es sei denn, sie fuhr gemeinsam mit den Hummern aufs
Festland. Sie musste daher wohl oder übel versuchen, so gut wie möglich ohne
diesen Luxus auszukommen.
Nicht dass es ihr viel ausmachte. Sie
hörte auf, an ihrer Perücke herumzuzupfen, und begann, mit einem winzigen rosa
Spatel, den sie bisher noch nie benutzt hatte, Creme auf ihr Gesicht
aufzutragen, und fragte sich, warum sie sich mit so etwas Albernem abgab. Sie
beförderte den Spatel in den Papierkorb, band die Schleife an ihrem Nachthemd
neu und schleuderte ihre Pantoffeln weg. Besagtes Schuhwerk war blassgrün,
hatte kecke kleine Absätze und einen Besatz aus Marabufedern. Witwe oder nicht,
Emma war schließlich noch lange nicht bereit, die Flagge einzuholen. Nachdem
sie all dies erledigt hatte, begann sie, barfuß im Zimmer auf und ab zu gehen.
Die pflichtbewusste Sandy hatte Emmas
Koffer und Taschen schön ordentlich auf ein Regalbrett im Kleiderschrank
gestellt. Nur die alte Ledertasche lag immer noch auf dem kleinen Schemel am
Fußende des Bettes. Emma setzte sich neben ihre Tasche und begann, das kitschige
Glitzerzeug, das auf der Hinfahrt so viel Aufsehen erregt hatte, ein wenig zu
ordnen. Sie wusste selbst nicht, warum sie sich die Mühe machte, sie hatte
schließlich nicht vor, den Schmuck in dieser Nacht auszubessern.
Sie sah sofort, dass man den Feenschmuck
während seiner kurzen Karriere als Diebesgut nicht sehr rücksichtsvoll
behandelt hatte. Emma hatte nämlich vor der Reise alle Stücke herausgenommen,
die Tasche neu gepackt und dabei den Schmuck so ordentlich arrangiert, wie es
Form und Zustand der einzelnen Stücke erlaubten. Der Reisetaschendieb hatte
alles wieder durcheinander gebracht. Wahrscheinlich hatte er seine Beute in die
Herrentoilette gebracht und dort ausgekippt, um sie genau zu inspizieren. Als
er merkte, dass er seine Zeit mit wertlosem Tand verschwendete, hatte er alles
zurück in die Tasche gestopft und diese an der Stelle stehen gelassen, wo
Radunov sie gefunden hatte. Oder auch nicht.
Es gab keinen
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