Jodeln und Juwelen
doch
Emma wollte trotzdem keinerlei Risiko eingehen. Sie führte Mrs. Fath zu ihrem
Bett, half ihr aus dem Kimono und sorgte dafür, dass sie gut zugedeckt im Bett
landete. Ihr Puls war ein wenig langsam. Emma kannte sich aus, immerhin hatte
sie in ihrer Familie schon oft genug Kranke versorgt, doch es gab viele
Menschen, die gelegentlich ohne besonderen Grund einen schwachen Puls hatten.
Mrs. Faths Haut fühlte sich kühl und feucht an, aber auch das war nicht
ungewöhnlich, wenn die Tür die ganze Nacht offen stand und die frische
Meeresbrise ungehindert ins Zimmer blies. Emma hielt es für das Vernünftigste,
die Frau noch eine Weile in Ruhe zu lassen, und dann weiterzusehen.
Sie ging zurück zum Haus, sprach mit
Bubbles ab, dass Mrs. Fath in Kürze ein kleiner Snack gebracht werden sollte,
und begann, sich mit der Inventarliste zu beschäftigen.
Die gesamte Liste durchzugehen hätte
sicher den ganzen Sommer in Anspruch genommen, daher beschloss sie, sich nur
auf die wertvolleren Objekte zu konzentrieren. Sie begann mit dem einzigen
Gegenstand, der nicht aufgelistet war.
Das Collier befand sich immer noch im
Wandsafe, genau an der Stelle, wo sie es gestern hingelegt hatte. Es war
wirklich ein unglaubliches Schmuckstück. Vielleicht hatte sie sich getäuscht,
und die Diamanten waren doch nicht echt? Emma nahm das Trinkglas, das zu der
Karaffe auf Adelaides Nachttisch gehörte, und testete, ob die Steine Spuren auf
dem Glas hinterließen. Die Kratzer waren scharf und klar, es bestand also kein
Zweifel. Ganz in Gedanken versunken begann sie, mit den verschiedenen Steinen
kleine Enten und Fische in das Glas zu ritzen. Als ihr bewusst wurde, was sie
tat, hörte sie auf und legte das Collier zurück in den Safe.
Sie hätte es nicht so bedenkenlos
anfassen sollen, vielleicht gab es ja Fingerabdrücke darauf. Aber konnte man
auf einem Diamantcollier überhaupt Fingerabdrücke erkennen? Wahrscheinlich
nicht, aber im Polizeilabor waren heute die unglaublichsten Dinge möglich. Am
besten, sie nahm das zerkratzte Glas mit, tauschte es gegen das Glas in ihrem
Zimmer aus und ließ es dann zufällig auf den Badezimmerboden fallen.
Jammerschade, das Set zu zerstören, aber diese einfachen Glaskaraffen ließen
sich notfalls leicht ersetzen. Sie ging zu Adelaides Frisiertisch.
Parfümfläschchen aus filigranem Silber,
Bürsten mit Silbergriff, Kämme, Stiefelknöpfer, ein silbernes Tablett für
Haarnadeln, silberne Bilderrahmen, weiß der Himmel was sonst noch alles aus
Silber, doch laut Liste fehlte nichts. Vermutlich alles Hochzeitsgeschenke,
Geburtstagsgeschenke oder Geschenke zur Silberhochzeit. Die unzähligen
Silbergegenstände waren Gästen sicher aufgefallen und hatten Anlass zu der
Vermutung gegeben, die Sabines sammelten Silber, woraufhin man ihnen noch mehr
davon geschenkt hatte. Das war der Preis, den man für seinen Reichtum bezahlte.
Man sammelte immer mehr Dinge an, um die man sich kümmern musste. Das Silber
musste dringend geputzt werden, sie würde Sandy und Bernice an einem
verregneten Nachmittag dazu abkommandieren.
Nicht dass es ihnen an Arbeit mangelte.
Für zwei junge Mädchen gab es hier mehr als genug zu tun. Vincent hätte besser
einen Erwachsenen eingestellt. Aber vielleicht hatte er kein älteres Mädchen
gefunden, das bereit war, den ganzen Sommer auf einer einsamen Insel zu hocken.
Oder er hatte einfach kein Risiko eingehen wollen. Dieser Ted war jemand, den
Emmas Mutter als Luftikus bezeichnet hätte. Mama hätte ganz sicher keines ihrer
Hausmädchen auch nur in seine Nähe gelassen.
Genug davon. Soweit sie sehen konnte,
fehlte nichts. Das Esszimmer war inzwischen sicher wieder aufgeräumt, sie ging
also besser dorthin und zählte das Silber. Emma suchte gerade im Buffet nach
den Etageren, als Vincent aus der Küche hereingestürzt kam. Er war klatschnass
und tropfte auf den Fußboden, was er jedoch nicht zu bemerken schien.
»Vincent, was ist passiert?« rief sie.
»Sehen Sie denn nicht, was Sie da — «
»Ich muss unbedingt telefonieren.«
Wenn ein Mann in diesem Ton sprach,
wusste eine Frau, dass sie besser nicht weiterfragte. Emma trat einen Schritt
zur Seite und ließ ihn vorbei. Obwohl sie eigentlich im Esszimmer bleiben und
weiter das Silber zählen sollte, folgte sie ihm ins Wohnzimmer.
Vincent beachtete sie gar nicht. Er
nahm das Telefon aus dem Lackkabinett und wählte eine Nummer, die er auswendig
wusste. »Is’ Lowell da? Mist! Dann finden Sie ihn so schnell wie möglich.
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