Jodeln und Juwelen
unten an der Bucht, in dem auch Emma und Bed
damals geschlafen hatten. Die Tür stand offen, und Emma konnte durch das
Fliegengitter in den großen Raum sehen. Mrs. Fath lag in ihrem Bett, ihr Kopf
ruhte auf dem Kissen, ihr restlicher Körper unter einer hellblauen Decke. Sie
war wach, machte jedoch nicht die geringsten Anstalten aufzustehen, als Emma
auf die Veranda trat und an den Holzrahmen der Fliegentür klopfte.
»Mrs. Fath, ist alles in Ordnung mit
Ihnen?«
Die Frau im Zimmer hob den Kopf ein
wenig. Sie starrte auf die Tür, als könne sie sich nicht erinnern, wo sie war.
»Oh, Mrs. Kelling.« Ihre Stimme klang merkwürdig, wie eine Mischung aus Lallen
und Krächzen, ganz anders als gestern Abend bei ihrem animierten Geplauder.
»Ich weiß auch nicht, was los ist. Ich fühle mich einfach nicht gut. Warten Sie
einen Moment.«
Mrs. Fath befreite sich von ihrer Decke
und enthüllte dabei Unmengen von pfirsichfarbenem Stoff. Ihr Nachthemd war hoch
gerutscht, und sie verbrachte geraume Zeit damit, es wieder in Ordnung zu
bringen, während Emma eisern aufs Meer hinaus starrte. Schließlich hatte die
Seherin sich in einen grellbunten japanischen Kimonoverschnitt aus Synthetik
gehüllt. Emma hatte die Dinger bisher nur in Souvenirläden für Touristen
gesehen. Mrs. Fath steckte ihre nackten Füße in Strohtreter und schlurfte zur
Tür.
»Tut mir Leid, dass Sie warten mussten,
Mrs. Kelling. Ich habe die Fliegentür eingehakt gelassen. Hatte Angst, die
Stinktiere könnten kommen und mich holen, obwohl ich auch nicht genau weiß,
warum sie das tun sollten. Es war zu stickig mit der geschlossenen Tür. Ich
habe keine Luft mehr gekriegt.«
»Oh je. Haben Sie schlecht geschlafen?«
»Weiß ich auch nicht. Anscheinend bin
ich eingeschlafen. Aber als ich wieder wach wurde, fühlte ich mich wie
gerädert. Ich kann es mir selbst nicht erklären. Normalerweise schlafe ich
immer hervorragend. Aber heute fühle ich mich einfach nicht wohl.«
»Wie meinen Sie das, Mrs. Fath? Ist
Ihnen übel?«
»Nein, eigentlich nicht. Es ist nur — na
ja, ein komisches Gefühl im Kopf. Und wenn ich aufstehe, ist mir schwindelig.
Ich bin nicht wirklich krank, ich fühle mich nur unwohl.«
Sie sah auch aus, als sei ihr unwohl,
obwohl Emma nicht genau sagen konnte, was es war. »Hoffentlich haben Sie sich
nichts eingefangen, Mrs. Fath. Haben Sie vielleicht gestern auf dem Boot ein
bisschen viel Sonne abbekommen?« Emma konnte sich zwar nicht vorstellen, dass
jemand bei einem Sonnenstich eine derart verzögerte Reaktion zeigte, doch etwas
weniger Ansteckendes fiel ihr momentan nicht ein. »Das Abendessen kann es nicht
gewesen sein, denn allen anderen geht es blendend. Wir sind übrigens gerade mit
dem Frühstück fertig. Ich wollte nur nachfragen, ob Sie auch etwas möchten. In
etwa fünfzehn Minuten wird abgeräumt.«
Mrs. Fath sagte kein Wort.
»Ich könnte eins von den Mädchen mit
Tee und Toast zu ihnen schicken.«
Das gehörte zwar nicht zur Hausordnung,
aber sicher hätte Adelaide nichts dagegen, wenn Emma eine Ausnahme für jemanden
machte, der sich nicht wohl fühlte. Mrs. Fath versuchte verzweifelt, dankbar zu
klingen.
»Das ist sehr lieb von Ihnen, Mrs.
Kelling, aber ich — ich weiß nicht. Es ist mir alles viel zu anstrengend.«
»Vielleicht sind Sie ja einfach nur
erschöpft. Haben Sie in der letzten Zeit zu viel gearbeitet? Hatten Sie nicht
vielleicht eine — äh — Vision, die Ihnen sagte, dass Sie dringend Ruhe
brauchen?«
»Meine Visionen betreffen immer andere
Menschen, niemals mich selbst. Und wenn ich mich nicht wohl fühle, läuft gar
nichts mehr. Ev ist sicher stinksauer, wenn sich herausstellt, dass er mir die
Fahrt für nichts und wieder nichts bezahlt hat.«
Kapitel
11
Die Wahrsagerin klang nicht so, als
versetze diese Aussicht sie in Panik. Emma begann eine eigene Ahnung zu
verspüren. Vielleicht beabsichtigte Mrs. Fath, auf diese Weise ihre
Unfähigkeit, den imaginären Schatz von Pocapuk zu lokalisieren, zu kaschieren,
während sie gleichzeitig einen angenehmen Urlaub auf Kosten anderer verlebte.
Emma wusste, dass sie ob dieser Aussicht eigentlich erbost sein sollte,
stattdessen reagierte sie leicht amüsiert und durchaus verständnisvoll.
»Dann legen Sie sich besser wieder hin.
Ich schicke später jemanden vorbei, der nach Ihnen sieht. Kommen Sie, ich helfe
Ihnen.«
Einen Moment lang befürchtete sie, die
Frau könne ohnmächtig werden. Vielleicht gehörte das alles zu ihrer Rolle,
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