Jodeln und Juwelen
Sagen
Sie ihm, wir hätten den Kerl gefunden. Unter den Klippen, in anderthalb Meter
Wasser, tot wie ‘ne Makrele, mit eingeschlagenem Schädel. Sieht aus, als wär’
er auf die Felsen gestürzt. Sagen Sie Lowell, er soll kommen, sobald er kann.«
Vincent knallte den Hörer auf die
Gabel, ohne eine Antwort abzuwarten, und wandte sich an Emma, die alles
mitangehört hatte.
»Wir haben ihn oben am George’s Rock
gefunden.«
»Wo ist das, Vincent?«
»Am obern Ende der Insel, drüben am
Kiefernwald. Da fallen die Felsen ziemlich steil ab. Muss im Dunkeln die
Klippen runtergefallen sein und is’ dann zwischen Felsen und Schlick
aufgeschlagen. Gut, dass Flut war und nich’ Ebbe, sonst hätten wir nie
rausbekommen, was aus ihm geworden is’. Ted hat Ihre alte Tasche gefunden.
Trieb mit dem Boden nach oben im Wasser. Wahrscheinlich hätten wir sonst gar
nichts gemerkt. Muss Luft in die Tasche gekommen sein, als sie ins Wasser
gefallen is’. Also sind wir runtergeklettert und haben ein bisschen rumgesucht,
und dabei haben wir ihn gefunden.«
»Das muss ja ein furchtbarer Schock für
Sie gewesen sein.«
»Für ihn war’s bestimmt noch schlimmer.
Hat wohl die Orientierung verloren und gedacht, er läuft aufs Dock oder so. Und
dann is’ er da unten gelandet.« Vincent war für seine Verhältnisse äußerst
gesprächig. Aber das kam wahrscheinlich vom Schock. Manche Menschen reagierten
auf diese Weise.
»Ted pumpt grade das Schlauchboot auf,
das wir für Notfälle hier auf der Insel haben. Er wollte nich’ verraten, dass
wir hier eins haben, vor lauter Angst, dieser Angeber, der Pocapuks Schatz
suchen will, würde es sich untern Nagel reißen und an den Felsen zerfetzen. Wir
wollten den armen Teufel nich’ mit ‘nem Seil die Klippen hoch hieven und auf ‘ner
Bahre aus ‘m Wald tragen. Daher haben wir beschlossen, ihn mit unserm
Schlauchboot vom Felsen zu holen und zum Dock zu bringen, wo Lowell ihn mit
seinem Patrouillenboot abholen kann.«
»Sicher die beste Lösung«, sagte Emma.
Sie hatte zwar keine Ahnung, wovon sie sprach, aber was machte das schon?
»Vincent, sollten Sie sich nicht lieber einen kleinen Brandy genehmigen und
etwas Trockenes anziehen?«
»Mir reicht ‘ne Tasse Kaffee. Hat
keinen Zweck, sich jetzt umzuziehen, wenn ich gleich sowieso wieder nass werde.
Wir haben ein paar von Ihren Schmuckstücken aus dem Wasser gefischt. Die Tasche
muss aufgegangen sein, als der Mann gefallen is’. Neil sucht immer noch nach
dem Rest.«
»Ja, der Verschluss war kaputt. Bitte
sagen Sie Neil, er soll sich die Mühe sparen. Es tut mir furchtbar Leid, dass
jemand für diesen wertlosen Tand ums Leben gekommen ist.«
Aber für den Dieb war es mehr als
wertloser Tand gewesen, denn der Mann hatte geglaubt, ein Diamantcollier
gestohlen zu haben. Und das bedeutete wahrscheinlich, dass es einen Komplizen
gab, der ihn aus der Speisekammer gelassen und ihm gesagt hatte, wo er nach dem
Schmuck suchen sollte. Sie musste es Vincent unbedingt sagen. Doch Vincent war
nicht in der Stimmung zuzuhören.
»Ich muss wieder raus. Sollen wir’s den
andern sagen?«
»Das werden wir wohl müssen, meinen Sie
nicht? Immerhin wird bald eine Leiche auf dem Dock liegen, bis das Boot kommt
und sie abholt. Immerhin könnte Dr. Wont es als spannende Episode in sein Buch
einbauen«, fügte sie trocken hinzu.
Vincent stöhnte. »Wat dem einen sin
Uhl, is’ dem andern sin Nachtigall. Sie wollen es doch nicht zu lange
aufschieben?«
»Nein, ich werde die Leute sofort
informieren. Ich glaube nicht, dass es viel Sinn hat, mit der Inventarliste
weiterzumachen, wo wir doch wissen, dass er außer meiner Tasche nichts
mitgenommen hat.«
»Das wissen wir eben nich’«,
widersprach Vincent. »Vielleicht haben wir den Rest bloß noch nich’ gefunden.«
»Dann warten wir eben, bis Ebbe ist.
Liegen die Felsen dann frei?«
»Mehr oder weniger, aber vielleicht
trägt die Ebbe das Zeug auch raus aufs Meer. Es dauert nich’ mehr lange, bis
das Wasser abläuft. Viel Zeit zum Suchen bleibt uns nich’.«
»Ich beeile mich«, versprach Emma.
»Wissen Sie, wo die Gäste sind?«
»Als ich sie zuletzt gesehen hab’,
waren sie draußen am Shag Rock und ärgerten sich, dass niemand das Floß für sie
bauen will. Nehmen Sie den Weg da vorn an der Hintertür und gehn Sie immer
weiter gradeaus, bis Sie entweder auf die Männer oder das Meer stoßen, je
nachdem.«
Vincent platschte in Richtung Küche davon.
Emma setzte sich Adelaides Hut auf und
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