Jodeln und Juwelen
einen Ölmantel und wagte sich mannhaft
hinaus in den Sturm, der momentan ein klein wenig nachgelassen hatte. Emma
räumte die Karten und das Cribbage-Brett fort und ging in die Küche.
Von irgendwoher im Nebengebäude hörte
man gedämpfte Rockmusik und albernes Gekicher. Die jungen Leute amüsierten sich
auf ihre eigene, unergründliche Weise. Emma war froh, dass sie diskret genug
waren, wenigstens nicht das ganze Haus damit zu beglücken. Vincent war wohl
immer noch im Stall. Bubbles döste in einem Stuhl neben dem Herd und hatte die
Füße auf das kleine Regal vor dem Ofen gelegt. Auf der hinteren Herdplatte
köchelte ein großer Topf, in dem sich Baked beans befanden, wenn sich ihre Nase
nicht irrte.
Der Koch hatte sich seine Ruhepause
redlich verdient, sie würde ihn nicht stören. Emma zog sich das alte Regencape
an, schlüpfte in ein Paar Gummistiefel, die ihr einigermaßen passten, und
schlurfte den Weg zu Mrs. Faths Hütte hinunter. Die Luft war erfrischend, doch
es gab Angenehmeres als in klobigen Stiefeln über nasse Kiefernnadeln zu
marschieren. Ein Wanderstock wäre in dieser Situation nicht schlecht gewesen.
Sie klopfte sich selbst auf die Schulter, als sie Mrs. Faths Hütte erreichte,
ohne sich den Fuß verstaucht zu haben, klopfte leise an die Tür, erhielt keine
Antwort und betrat das Häuschen.
Mrs. Fath schlief. Sie hatte eine
gesunde Farbe, und ihr Atem ging regelmäßig. Sie brauchte keine Florence
Nightingale, die um sie herumschwirrte. Emma rutschte und schlitterte den Weg
zurück, begab sich in ihr Zimmer und legte sich auf die Chaiselongue.
Obwohl sie so müde war, konnte sie
nicht schlafen. Sie versuchte zu lesen, konnte sich jedoch nicht auf das Buch
konzentrieren. Sie schaltete das Radio an, fand aber nichts Interessantes.
Eigentlich hätte sie mit dem Instandsetzen des Feenschmucks anfangen sollen.
Doch der Gedanke, dass Neil seinen Hals riskiert hatte, um den wertlosen Tand
für sie zu retten, und der unbekannte Mann ums Leben gekommen war, weil er
versucht hatte, den Schmuck zu stehlen, war ihr einfach unerträglich. Sie
konnte sich nicht einmal damit trösten, die Kommodenschubladen aufzuräumen,
denn Sandy hatte alles so ordentlich eingeräumt, dass Emma schon Schuldgefühle
bekam, wenn sie etwas herausnahm. Was hatte sie nur dazu bewogen, sich auf
dieses verrückte Abenteuer einzulassen? Eigentlich hätte sie wissen müssen,
dass die Geschichte einen Haken hatte.
Emma ging zu den Fenstern und starrte
bekümmert nach draußen. Man konnte den Pier in dem grauen, schäumenden,
tosenden Chaos kaum erkennen. Wenn der Sturm nicht aufgekommen wäre, hätte
Vincents Bruder bereits vor Stunden hier sein können. Der Tote wäre nicht mehr
auf der Insel, und auch das verfluchte Collier wäre endlich fort. Sie verspürte
das zwanghafte Bedürfnis, noch einmal zum Safe zu gehen und nachzuprüfen, ob
die Diamanten noch da waren, doch das wäre äußerst leichtsinnig. Wer immer bei
diesem endlosen Bridgespiel den Strohmann machte, war vielleicht gerade auf dem
Weg nach oben, um danach zu suchen. Wahrscheinlich nahmen alle an, dass sie
schlief. Sie hatte schließlich über dem Cribbage-Brett genug gegähnt. Welcher
Gast mochte gestern Abend zurück ins Haupthaus geschlichen sein, um den Mann
aus der Vorratskammer zu lassen?
Oder war es doch einer der Dienstboten
gewesen? Warum hatte Vincent so schnell seinen eigenen Sohn verdächtigt? Warum
nicht den vorlauten Ted? Emma fiel auf, dass Ted die einzige Person auf der
Insel war, die sie heute noch nicht zu Gesicht bekommen hatte. Warum war er nicht
mit Neil zusammen gewesen, als der Junge den Schmuck geholt hatte? Neil hatte
nicht erwähnt, ob Ted bei ihm gewesen war. Es musste schrecklich riskant für
einen Jungen sein, mutterseelenallein zwischen diesen gefährlichen Felsen
herumzuturnen, noch dazu bei einem derartigen Sturm.
Vincent hatte gewusst, was Neil
vorhatte. Er hatte sich Sorgen gemacht, aber warum hatte er seinen Sohn nicht
davon abgehalten? Hatte er vielleicht mehr erwartet als den Feenschmuck, den
sie bei dem Toten gefunden hatten? War Vincent vielleicht selbst heute
Nachmittag draußen gewesen und hatte im Schlamm gestochert? War er vielleicht
jetzt bei Flut immer noch dort?
Zu einem derartigen Unterfangen waren
zwei Personen nötig, dachte Emma. Einer suchte, der andere hielt die Sicherheitsleine,
ohne die sich keiner, der auch nur halbwegs zurechnungsfähig war, in den
brodelnden, schäumenden Ozean hineinwagen sollte.
Weitere Kostenlose Bücher