Jodeln und Juwelen
glaube nicht, aber man kann nie
wissen.« Obwohl sie sich einzureden versuchte, es sei alles in Ordnung, legte
Emma noch einen Schritt zu. Sie ging mit Theonia durch die Küchentür ins Haus,
weil es der nächste Eingang war. Bubbles war nicht da. Vielleicht brachte er
Mrs. Fath gerade einen kleinen Nachtisch. Oder sah im Dienstbotenflügel nach,
ob Sandy in ihrem Zimmer war, obwohl Vincent das sicher längst selbst getan
hatte. Die Arbeit war jedenfalls erledigt, das Geschirr war abgeräumt, das
Esszimmer und das große Wohnzimmer waren aufgeräumt und befanden sich in ihrem
gewöhnlichen Zustand versteinerter Eleganz. Emma führte Theonia nach oben. Die
Tür zu Theonias Zimmer stand offen. Sie betraten den Raum. Hinter dem Bett, das
für Theonia frisch bezogen worden war, genau vor dem Schrank, in dem sich der
Geheimsafe befand, saß Sandy auf dem Fußboden, das umgestürzte
Frühstückstablett neben sich.
»Sandy!« rief Emma. »Dein Vater ist
außer sich. Warum bist du nicht bei Bernice?«
»Ich weiß nicht.«
Sandy klang benommen, nicht übersprudelnd
wie sonst. »Warum sitz’ ich hier auf dem Boden?«
»Ich habe nicht die geringste Ahnung.«
Emma kniete sich neben Sandy und versuchte, durch die Stachelfrisur Sandys Kopf
abzutasten. »Tut es weh, wenn ich hier drücke?«
»Aua! Ja, genau da, neben dem Ohr. Vielleicht
hab’ ich auch Amnesie.«
»Wie heißt du?«
»Sandy. Alexandria, meine ich.«
»Und wie heiße ich?«
»Mrs. Kelling.«
»Du hast keine Amnesie. Aber vielleicht
eine leichte Gehirnerschütterung. Erinnerst du dich, ob du dir irgendwo den
Kopf gestoßen hast?«
»Vielleicht an der Schranktüre hier?«
schlug Theonia vor. Die Tür stand offen. Als Theonia den Raum verlassen hatte,
war sie noch geschlossen gewesen, aber das sagte sie nicht. Theonias
Reisekleid, der Hut, ein opulentes spitzenverziertes Satin-Negligé und ein
ebenso eleganter Morgenmantel hingen darin. »Sandy, kannst du dich daran
erinnern, dass Bernice hier war, um dich zu suchen?«
»Nein.«
Die beiden Frauen schauten sich
achselzuckend an. »Wenn Bernice nur den Kopf ins Zimmer gesteckt hat, konnte
sie Sandy vielleicht nicht sehen, weil das Bett im Weg war«, sagte Emma.
Das ziemlich hohe antike Himmelbett und
die dicke Steppdecke, die bis auf den Fußboden reichte, waren die perfekte
Deckung für ein auf dem Boden sitzendes oder liegendes Mädchen. Vielleicht war
Sandy sogar wirklich kurze Zeit bewusstlos gewesen. Aber wie konnte sie sich
derart gestoßen haben?
Diese Frage konnte immer noch geklärt
werden, jetzt musste man vor allem Vincent informieren, dass seine Tochter
gefunden worden war. Gemeinsam hievten Theonia und Emma das Mädchen aufs Bett,
zogen ihr die Turnschuhe aus und deckten sie mit einer Wolldecke zu.
»Und jetzt bleibst du schön brav hier
liegen, Sandy«, teilte Emma ihr mit. »Und zwar so lange, bis wir dir sagen,
dass du wieder aufstehen darfst. Wahrscheinlich wird es dir noch eine Zeit lang
schwindelig sein, und du willst doch sicher nicht fallen und dir wieder den
Kopf stoßen, oder? Ich suche jetzt deinen Vater und sage ihm, wo du bist. Aber
du solltest nicht allein bleiben. Theonia, würdest du so lieb sein und ihr
Gesellschaft leisten?«
»Aber sicher. Geh ruhig.«
Theonia zog einen Stuhl ans Bett und
stellte sich darauf ein, vorübergehend Sandys Schutzengel zu spielen. Emma
bedauerte, dass sie vergessen hatte, Theonia zu fragen, ob Max ihr von dem
Wandsafe im Schrank erzählt hatte. Sie war beileibe keine Schwarzseherin, doch
sie konnte sich einfach nicht vorstellen, dass es sich hier um einen Zufall
handelte. Vielleicht war es tatsächlich möglich, dass Sandy sich irgendwo hart
genug gestoßen hatte, um für kurze Zeit das Bewusstsein zu verlieren, doch es
kam Emma recht unwahrscheinlich vor.
Sie hoffte inständig, dass Onkel
Franklin möglichst schnell erscheinen würde, um sich das Kind genauer
anzusehen. Falls nicht, musste Sandy im Hummerboot zum Festland gebracht
werden, sobald sie transportfähig war. Mit einer Kopfverletzung, die stark
genug war, jemanden völlig außer Gefecht zu setzen, war nicht zu spaßen.
Vincent musste sofort davon erfahren. Emma sammelte das auf dem Teppich
liegende Geschirr ein, stellte es auf das Tablett und trug es in die Küche.
Dann läutete sie die Schiffsglocke neben der Tür.
Natürlich bekam sie bedeutend mehr
Resonanz, als sie eigentlich beabsichtigt hatte. Bubbles erschien als Erster,
rannte den Weg von den Cottages zum Haus hoch und
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