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Joe Golem und die versunkene Stadt

Joe Golem und die versunkene Stadt

Titel: Joe Golem und die versunkene Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Mignola
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Leichnam Andrew Golniks zu verbergen.
    Als die Wurzel sich schlängelnd an Molly hinaufrankte, begann sie zu schreien.

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Kapitel 10
    J oe kämpfte gegen die Äste des Baumes, als sie sich schlangengleich um seine Arme und seinen Hals wickelten. Die Borke kratzte ihm die Kehle auf, sodass Blut hervordrang, und er würgte, als ein Ast ihm die Luft abschnürte. Schwarze Punkte tanzten vor seinen Augen. Er hatte keine Zeit gehabt, tief einzuatmen, und jetzt brannte in seiner Brust die Gier nach Luft.
    Joe hörte, wie Molly gellend kreischte. Ihre Angstschreie trafen ihn bis ins Mark.
    Er stemmte die Füße auf den Boden und grub die Fersen in die Erde. Dicke, knorrige Wurzeln schlangen sich um seine Beine, doch Joe ließ sich nicht bewegen. Rote Blätter schüttelten sich und warfen einen frischen Schauer aus Regentropfen auf ihn. Ein Nebel aus Wut und Entschlossenheit trübte seine Gedanken. Er bleckte die Zähne, als ihm vom Sauerstoffmangel schwarz vor Augen wurde.
    Das spitze Ende eines Astes näherte sich ihm und zitterte vor seinem Gesicht, suchte nach dem besten Punkt zum Zustechen. Joe warf sich zur Seite, als der Ast vorschoss. Hätte er sich nicht bewegt, wäre ihm das linke Auge ausgestochen worden.
    Molly schrie verzweifelt seinen Namen. Als er in ihre Richtung blickte, sah er etwas, bei dem er vor Abscheu eine Gänsehaut bekam. Die Gabelung des Baumes hatte sich verschlossen, doch jetzt öffnete sie sich wieder, und irgendetwas darin schimmerte feucht wie Saft. Äste und Wurzeln ringelten sich um das Mädchen und zerrten es in das Maul des Baumes.
    Im Stamm lag der verwitterte, mumifizierte Leichnam von Andrew Golnik noch immer offen sichtbar, als wäre er aus dem Grab gekrochen. Erstarrt in groteskem, grinsendem Tod, bewegte er sich nicht, lag regungslos im freigelegten Innern des Baumes. An seinen grässlichen sterblichen Überresten hingen Haut und Haar schlaff herunter. In den Bart der Leiche waren rostige Eisenringe geflochten.
    Als die schwarzen Flecken in Joes Gesichtsfeld immer größer wurden, legte sich Düsternis auf seine Gedanken. Bilder von schreienden Mädchen zogen vor seinem inneren Auge vorbei; Bilder von knorrigen, dürren Händen, die sie am Haar packten, um sie in Bäume und feuchte Grüfte und dunkles Wasser unter Brücken zu zerren. Einige der Mädchen konnte Joe retten, andere hatte er an die Hexen verloren.
    Molly McHugh würde er nicht verlieren!
    In seinem Innern löste sich ein urgewaltiger Schrei, während die Äste an ihm rissen und versuchten, ihn zum Maul des Baumes zu zerren. Wo Mollys Arm hineingezogen worden war, wuchs die Rinde wieder nach, hüllte ihr Handgelenk ein und breitete sich den Arm hinauf aus.
    Golniks Mumie schien höhnisch zu grinsen. Die Überreste seiner Lippen zerfielen zu Staub, als sie sich dehnten.
    Joe zerrte mit aller Kraft an den Ästen und Wurzeln. Einen Augenblick lang erschlaffte deren Griff. Sofort verdrehte Joe die rechte Hand, sodass er den Ast umklammern konnte. Er grub die Fersen in den Boden und riss dem Baum mit brutaler Kraft den Ast ab. Rote Blätter verwelkten, starben und fielen zu Boden. Wütend schleuderte Joe den Astzur Seite. Endlich war sein rechter Arm frei. Wild schlug er um sich. Mit einem Krachen und einem Schrei, den er nur in seinem Kopf zu hören glaubte, brach er den Ast ab, der sein linkes Handgelenk festhielt. Dann griff er sich mit beiden Händen an die Kehle, und eine ungekannte Kraft durchfloss ihn, eine zornige Energie, die sich anfühlte wie eine uralte Erinnerung. Keuchend riss er sich die fremdartigen Astfinger vom blutigen, aufgeschürften Hals. Luft strömte in seine Lunge.

    Beinahe hätte er sich erbrochen, als ihm widerlicher Fäulnisgestank entgegenschlug. Tod und Verfall stiegen aus dem scheußlichen Schlund des gegabelten Baumes   – ein fermentierter, schwefliger Brodem, der Joe das Wasser in die Augen trieb und ihm den Magen umdrehte.
    Mollys Kopf, ihr rechter Arm und ihre Schultern waren bereits vom Baum verschluckt worden. Ein rosastichiger, blutiger Saft breitete sich auf ihrer Kleidung aus. In seinem Kielwasser überzog Rinde das Mädchen, als würde der Saft zur Haut des Baumes erhärten. Falls Molly noch lebte, schrie sie ihr Entsetzen in den Stamm des Baumes hinein, sodass Joe sie nicht mehr hören konnte. Dass sie tot war, wollte er einfach nicht glauben.
    »Was immer du bist, du bekommst sie nicht!«, stieß er hervor.
    Als andere Äste nach ihm griffen, drosch er sie wütend zur Seite und

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