Joe Golem und die versunkene Stadt
in seiner Mitte und dass sich irgendetwas darin bewegte. Das glitschige Fleisch des Aals beulte sich aus, dehnte sich und riss. Ein Gestank nach Tod und Verwesung brach aus dem Körper hervor.
Der Gestalt, die aus dem Leib des Ungeheuers zum Vorschein kam, waren Haut und Kleidung zum größten Teil heruntergerissen worden; darunter war lebendiger Stein zu sehen. Doch die Augen gehörten Joe, das sah Molly sofort, auch wenn sie jetzt ebenfalls aus Stein bestanden. Und obwohl die Züge grober geschnitten waren als zuvor, erkannte sie auf der Stelle Joes Gesicht.
»Joe!«, rief sie. »Was ist mit dir passiert?«
Er blickte sie an. Im ersten Moment erweckte es den Eindruck, als würde er sie nicht erkennen, dann aber leuchteten seine Augen auf.
Dr. Cocteau starrte fassungslos auf die Szene. Mit seinem blutigen Gesicht und Bart sah er mehr denn je wie ein Irrsinniger aus. Derweil sprang das Feuer von Vorhang zu Vorhang und breitete sich rasch aus. Die Flammen loderten in der weiten Halle. Rauch und Hitze kamen näher, doch für Cocteau schien esnur eine Bedrohung zu geben: die unmittelbar vor ihm. Er deutete mit einer Hand, die vor Zorn zitterte.
»Tötet ihn!«, rief er. »Aber lasst das Mädchen leben!«
Wie ferngesteuert wollten die Gas-Männer sich auf Molly stürzen, doch Joe trat dazwischen. Molly hielt noch immer die Pressluftflasche und die Atemmaske, aber jetzt zögerte sie. Felix – der Felix, den sie gekannt hatte, der Mann, der wie ein Vater zu ihr gewesen war – existierte nicht mehr. Sie hatte ihn geliebt, aber das Ungeheuer, zu dem er geworden war, war nicht mehr Felix. Der Mann, den sie gekannt hatte, hätte gewollt, dass sie floh, hätte verlangt , dass sie die Flucht ergriff. Konnte sie von Joe das Gleiche sagen? Sie kannte ihn kaum, doch in den wenigen Stunden hatte sich zwischen ihnen eine starke Bindung gebildet. Sein Anblick schmerzte sie. Hatte Cocteau ihm das angetan? Danach zu urteilen, wie der Irre auf Joes Anblick reagierte, eher nicht.
Erneut blickte Molly in das zertrümmerte Becken. Während die Gas-Männer Joe angriffen und er sich verteidigte, indem er ihnen die Anzüge zerriss und die Kreaturen darin zerquetschte, zog sie sich die Atemmaske vor das Gesicht.
Unter ihren Füßen vibrierte der Boden. Molly blickte ins Becken und entdeckte etwas Riesiges, Dunkles unten im Wasser. Dann fiel ihr ein, dass Cocteau zwei Monster auf Joes Fährte gesetzt hatte.
So wie der Boden bebte, schien das Wesen im Becken noch größer zu sein als das erste. Wenn es versuchte, durch die Öffnung des Beckens zu brechen, wollte Molly lieber nicht in der Nähe sein. Nach einem letzten Blick auf Joe wandte sie sich um und rannte durch die brennenden Vorhänge quer durch das bizarre Haus mit seinen unpassend eleganten Möbeln, von denen einige schon in Flammen standen. Sie eilte den Weg zurück, auf dem der Schleicher sie hergeführt hatte. Die Wendeltreppe war noch da, doch als Molly darauf zurannte, trat Dr. Cocteau aus dem Qualm hervor und verstellte ihr den Weg.
Hinter ihm konnte Molly durch den Rauch die Glassphäre erkennen. Wasser quoll aus ihrem Podest, und plötzlich begriff Molly, woran das lag. Wenn Felix wuchs, musste das verdrängte Wasser irgendwohin ablaufen.
Das nun riesige Wesen in dem Goldfischglas presste sein Gesicht an die Glasscheibe und starrte Molly und Cocteau an. Seine Augen veränderten sich wie das Pentajulum, so, als existierten sie sowohl in seiner Wirklichkeit als auch in einer anderen.
»Gehen Sie mir aus dem Weg«, warnte Molly den Wahnsinnigen.
»Oh nein, Miss McHugh«, erwiderte Cocteau und fuhr sich mit der Hand über seine blutige, geschwollene Nase. »Sie behalte ich schön bei mir. Und wenn ich hinübergehe, sorge ich dafür, dass Sie als Erste sterben.«
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Kapitel 21
W ährend Joe kämpft, in Rauch und chemischen Nebel gehüllt, wirft er immer wieder Blicke auf das Mädchen mit dem zimtroten Haar. Sie ist ihm vertraut, aber er kann sich einfach nicht an ihren Namen erinnern. Er weiß nur, dass er gekommen ist, um ihr zu helfen, und diese Kreaturen in ihren glitschigen Anzügen und den seltsamen Masken wollen ihn daran hindern. Sie sind keine Hexen – oder wenigstens keine Hexen, wie Joe sie kennt –, aber hegen finstere Absichten.
Ihr Herr und Meister jedenfalls ist dem Bösen und dem Wahnsinn verfallen. Joe sieht, wie der Kerl das Mädchen bedroht, und weiß, dass er aufgehalten werden muss. Er durchschlägt mit der Faust die Maske einer
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