Joe Kurtz 01 - Eiskalt erwischt
dem sechsten Stock herunter. Die Leitungen funktionierten, aber es gab weder eine Wanne noch eine Dusche.
Es war zwar eine echte Tortur, Tag und Nacht fünf Stockwerke hochzukraxeln, aber Kurtz faszinierte die Akustik des Gebäudes unheimlich – das Treppenhaus verstärkte jedes Geräusch, sodass man Schritte auch zwei Etagen höher noch hören konnte. Der Fahrstuhl, den er nur einmal ausprobiert hatte, konnte Tote aufwecken und das Atrium wirkte wie ein gewaltiger Schallverstärker. Es würde jedem, der sich in dem Gebäude nicht auskannte, schwerfallen, sich an jemanden anzuschleichen, der mit den Gegebenheiten vertraut war.
Außerdem, so stellte Kurtz schon nach wenigen Tagen erfreut fest, hatten anderthalb Jahrhunderte unterschiedlichster Nutzungszwecke und kürzlich durchgeführte Renovierungen eine Unmenge von Nischen, Ecken, Leitern, zugemauerten Räumen und anderen Verstecken hervorgebracht. Er verbrachte geraume Zeit damit, diese Details mithilfe einer guten Taschenlampe zu erforschen. Und das Beste von allem war ein alter Fluchttunnel, der vom Keller aus mehr als hundert Meter in östlicher Richtung in ein anderes Lagerhaus führte.
Kurtz schielte in den Pappkasten, den er als seinen Kühlschrank betrachtete. Zwei Flaschen Wasser und ein paar Oreos waren alles, was ihm noch blieb. Er futterte die Kekse und trank eine ganze Flasche Wasser dazu. Dann krabbelte er in seinen Schlafsack und schaute auf die Uhr: 06:52 Uhr. Er hatte eigentlich geplant, heute Vormittag ins Büro zu gehen und Arlene zu unterstützen, aber es konnte gut sein, dass er sich etwas verspätete.
Kurtz knipste die Glühbirne aus, rollte sich in der fast undurchdringlichen Dunkelheit zusammen, wartete einen Moment, bis sich der Schlafsack aufwärmte und sein Zittern legte, und glitt dann in einen traumlosen Schlaf hinüber.
»Erwischt«, sagte Malcolm Kibunte. Er und Cutter hockten in einem umgebauten Astro-Van der NASA, der ungefähr zwei Blocks entfernt abgestellt war.
Eine lange Nacht lag hinter ihnen. Als der Gerichtsdiener, der auf seiner Schmiergeldliste stand, ihn darüber informiert hatte, dass jemand für Kurtz eine Kaution hinterlegt hatte, ließ Malcolm Doo-Rag wissen, dass der Gefängnisjob ins Wasser fiel. Er sammelte Cutter, seine Tek-9 und ein paar Überwachungsgeräte ein, klaute einen Lieferwagen und observierte das Gerichtsgebäude. Sein Plan B bestand darin, Kurtz mit einer Maschinengewehrsalve im Vorbeifahren niederzumähen, sobald der sich weit genug vom Sicherheitspersonal im direkten Umkreis entfernt hatte, und natürlich auch denjenigen umzunieten, der die Kaution für ihn stellte. Aber dann sah Malcolm, wer da die Geldbörse für Kurtz gezückt hatte, und ging schnurstracks zu Plan C über.
Sie warteten die halbe Nacht auf der Straße vor Sophia Farinos Wohnung und wollten gerade aufgeben, als Kurtz schließlich doch noch herauskam und in die entgegengesetzte Richtung davonmarschierte. Es waren so wenige Autos auf der Straße unterwegs, dass Malcolm warten musste, bis sich Kurtz außer Sicht befand, bevor er wendete; danach fuhr er einen weiten Bogen, bis er ihn überholte, und parkte dann jeweils zwischen anderen verdreckten Wagen immer ungefähr zwei Häuserblocks weit entfernt. Es war dunkel. Und nur mithilfe des sündhaft teuren Militärnachtsichtgeräts und der Infrarotbrille war es Malcolm und Cutter möglich, Kurtz im Auge zu behalten.
Als ihr Opfer unter der Autobahnbrücke verschwand, hatten sie eine Weile lang geglaubt, nun seinen Unterschlupf zu kennen, aber gerade als Malcolm und Cutter ihn dort überraschen wollten, tauchte Kurtz plötzlich wieder auf, rannte die Böschung hoch und war wieder auf Achse. Aus irgendeinem Grund hatte der Trottel sich seiner Jacke entledigt. Cutter wollte unter der Unterführung nachsehen, aber Malcolm war bereits damit beschäftigt, zum Fluss zu fahren und eine Parkmöglichkeit zu suchen, bevor Kurtz wieder in Sichtweite kam. Es wurde hell. In etwa einer halben Stunde würde es nicht länger möglich sein, die Beschattung aufrechtzuerhalten. Der kotzgrüne Lieferwagen fiel Kurtz auf jeden Fall früher oder später auf, selbst wenn er meistens ein paar Blocks weit entfernt parkte.
Aber das Glück war auf ihrer Seite. Von ihrem Standort aus, einem alten Eisenbahnlager, beobachtete Malcolm die Gegend durch sein Nachtsichtgerät und Cutter hob gerade die unhandliche Brille an die Augen, als Kurtz durch das Loch im Zaun kroch und sich in die alte Eisfabrik
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