Joe Kurtz 01 - Eiskalt erwischt
Bestimmtheit wichen; all das mit dem Kokainglanz unbegrenzter, miteinander verwobener, unsterblicher Energie. Kurtz liebte es.
Nach dem letzten Set kamen Pearl, Beau und der Pianist – ein junger Weißer namens Coe Pierce – auf einen Drink zu ihm an den Tisch. Kurtz kannte Beau und Pearl von früher. Er hätte ihnen gern eine Runde spendiert, aber ihm blieb gerade noch genug Geld, um sein eigenes Bier zu bezahlen. Sie plauderten über Musik, neue Jobs und die guten alten Zeiten – wobei sie taktvoll das letzte Jahrzehnt aussparten, in dem Kurtz anderweitig unterwegs gewesen war. Selbst der junge Klavierspieler schien eingeweiht zu sein. Schließlich kam auch der Eigentümer des Blue Franklin, Daddy Bruce Woles, zu ihnen herüber; ein herzlicher, stämmiger Mann, der so schwarz war, dass seine Haut im Schein der rauchgeschwängerten Scheinwerfer fast auberginefarben glänzte. Kurtz hatte Woles noch nie ohne seinen Zigarrenstummel im Mund gesehen und er hatte auch noch nie gesehen, dass dieser Stummel tatsächlich brannte.
»Joe, du hast einen Bewunderer«, verkündete Daddy Bruce und bestellte eine Runde aufs Haus.
Kurtz nippte an seinem frisch gezapften Bier und wartete.
»So ’n kleiner Pimpf im schmierigen Regenmantel war vor drei Abenden schon mal hier und gestern wieder. Der hat gar nicht auf die Musik geachtet. Beim ersten Mal stand Ruby hinter der Bar und dieser Knilch knallt seine große wichtig aussehende Aktenmappe auf die Theke und fragt nach dir. Ruby weiß natürlich, dass du wieder draußen bist, sagt aber keinen Mucks. Hat behauptet, dich nicht zu kennen. Gestern Abend kam der gleiche Pimpf im gleichen schmierigen Regenmantel mit der gleichen abgewetzten Aktenmappe wieder rein, aber diesmal stehe ich hinter der Bar. Ich habe auch noch nie von dir gehört. Wollte dem Zwerg seinen Namen entlocken, aber er ließ einfach sein Bier stehen und ist raus. Heute war er noch nicht da. Ein Freund von dir?«
Kurtz zuckte die Achseln. »Sieht er so ein bisschen aus wie Danny DeVito?«
»Ja«, meinte Daddy Bruce, »nur nicht so niedlich und knuddelig. Einfach ein scheißhässlicher Typ.«
»Jemand hat mir gesagt, dass Sammy Levines Bruder Manny nach mir sucht. Wahrscheinlich ist er das.«
»Gott«, meinte Pearl. »Sammy Levine war auch so ein bösartiger kleiner Gnom.«
»Der hatte Holzklötze auf die Pedale geschnallt, damit er diesen riesigen Pontiac fahren konnte, mit dem er und Eddie Falco immer rumgedüst sind«, sagte Big Beau. Dann setzte er hinzu: »Entschuldige, Joe, ich wollte keine unangenehmen Erinnerungen wecken.«
»Schon in Ordnung«, meinte Kurtz. »Alles, was daran unangenehm war, habe ich schon vor Jahren überwunden.«
»Aber es sieht nicht so aus, als ob das auch für diesen Knilch Manny Levine gilt«, stellte Daddy Bruce fest.
Kurtz nickte.
Pearl nahm seine Hand. »Es kommt mir vor wie gestern, dass du hier jeden Abend mit Sam gesessen hast und wir uns dann alle zusammen ein spätes Abendessen mit ein paar Drinks nach dem letzten Set gönnten. Und dass Sam dann plötzlich nicht mehr trank, weil ...«
»Weil sie schwanger war«, beendete Kurtz den Satz. »Ja. Mir kommt es eher so vor, als sei das schon verdammt lange her.«
Die Sängerin und der Saxofonist sahen sich an und nickten.
»Rachel?«, fragte Beau.
»Lebt bei Sams Ex-Mann«, sagte Kurtz.
»Sie muss jetzt ... wie alt ist sie – zwölf, 13?«
»Fast 14.«
»Auf die guten alten Zeiten!«, erklärte Pearl mit ihrer wunderbaren rauch- und whiskeygeschwängerten Stimme. Sie hob ihr Glas.
Alle prosteten ihm zu.
Nachts wurde es eisig kalt. Als Kurtz über Parkplätze und durch Seitenstraßen zurück zum Lagerhaus marschierte, lediglich mit der Cordhose und dem Jeanshemd bekleidet, die Sophia Farino ihm gegeben hatte – das Hemd über der Hose, um die kleine 38er im Bund zu verstecken – überlegte er kurz, ins Büro zu gehen, um dort zu schlafen. Wenigstens war der Keller des Pornoladens beheizt. Aber er entschied sich dann doch dagegen. Wie lautete noch mal die alte Regel? Scheiß nicht dahin, wo du isst? So in etwa. Er wollte Geschäft und Privatleben strikt voneinander trennen.
Er nahm eine Abkürzung durch eine lang gezogene Gasse zwischen zwei Lagerhäusern, keine sechs Blocks von seinem eigenen Quartier entfernt, als plötzlich ein Wagen in die Gasse hinter ihm einbog. Scheinwerfer zogen seinen Schatten vor ihm auf dem von Schlaglöchern übersäten Asphalt in die Länge.
Kurtz sah sich um. Keine Eingänge,
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