Joe Kurtz 01 - Eiskalt erwischt
Stockwerken fanden sich halb fertige Zwischendecken, einige Wände hatte man bereits eingerissen, einige der Fenster herausgebrochen.
Aber der Markt für anspruchsvolle Lofts lag derzeit am Boden, die Gentrifizierung hatte sich in andere Bahnen entwickelt und den Anwälten war schließlich das Kapital ausgegangen. Jetzt stand das Lagerhaus genau wie ein Dutzend anderer Bauten in seiner Umgebung leer. Die Anwälte, optimistisch, wie ihr Berufsstand es nun einmal von Natur aus war, hatten einen Teil des Baumaterials im eingezäunten Bereich stehen lassen, damit die Arbeiten weitergehen konnten, sobald sich neue Geldquellen erschlossen.
Doc, in Lackawanna gleichermaßen als Waffenhändler und Nachtwächter im Einsatz, hatte Kurtz von dem Gebäude erzählt. Vor einem Jahr, als die Hoffnungen auf frisches Geld und Wiederaufnahme der Bauarbeiten noch größer gewesen waren, bewachte er nachts die Baustelle. Kurtz gefiel, was Doc ihm erzählte: Die oberen beiden Stockwerke und der Fahrstuhl waren bereits ans Stromnetz angeschlossen, die unteren Etagen dagegen weiterhin ein licht- und fensterloses Labyrinth aus schmalen Gängen und Metallkäfigen, die lediglich eine Mauer vom Innenhof trennte. Ein privates Sicherheitsunternehmen fuhr zwei- oder dreimal pro Woche vorbei, aber nur, um sich zu überzeugen, dass der Zaun noch intakt und die Vorhängeschlösser unversehrt waren.
Kurtz hatte den Zaun an der unzugänglichsten Stelle durchtrennt – hinten, wo das Grundstück an die Bahngleise grenzte – und dann mit dem fünfstelligen Sicherheitscode, den Doc ihm verraten hatte, das Zahlenschloss an der Hintertür geöffnet. Glücklicherweise war das Fenster in der Tür schon vor Kurtz’ Ankunft eingeschlagen gewesen, also konnte er sich einfach durch die Splitter vorsichtig hinauslehnen, das Schloss wieder einrasten lassen und die Kombination verstellen.
Kurtz hatte das Gebäude sofort ins Herz geschlossen. Es war nicht beheizt – das würde zum Problem werden, wenn der Winter in Buffalo ernsthaft einsetzte. Aber um einige der Baustellen zu versorgen, gab es im sechsten Stock fließendes Wasser. Einer der drei großen Lastenaufzüge funktionierte noch, obwohl Kurtz ihn nie benutzte. Er verursachte einen Lärm, der Kurtz an das Schreien des Monsters in den alten Godzilla-Streifen erinnerte. Es gab ein breites Treppenhaus, das aus der Lobby hinaufführte und Licht durch dicke Glasblöcke hereinließ, ein fensterloses Treppenhaus an der Rückseite und zwei rostige Feuerleitern. Ein paar Fensteröffnungen waren in den beiden oberen Stockwerken bereits im Mauerwerk vorbereitet worden, aber man hatte noch keine Glasscheiben eingesetzt.
Die unteren drei Etagen waren ein lichtloses, zugemülltes Chaos, bis auf das hallende Atrium, das ein von Oberlichtern erhelltes, zugemülltes Chaos war. Der Innenhof bot auch einen Fluchtweg, sofern man genug Mut aufbrachte und den Baugerüsten vertraute, die in die Höhe zum Oberlicht führten. Das Konsortium war noch bis zum Sandstrahlen der Innenwände gekommen, als ihnen schließlich das Geld ausging.
An diesem Morgen fröstelte Kurtz etwas im kalten Regen, als er die rostigen Gleise entlangging, durch den Einschnitt im Drahtzaun schlüpfte und die Ränder wieder so zusammenzog, dass das Loch für weniger aufmerksame Beobachter nicht sichtbar war. Er ließ sich zur Hintertür rein, überprüfte die Fallen für unbefugte Eindringlinge, die er im Flur der Lobby positioniert hatte, und joggte dann die fünf Stockwerke der vorderen Treppenflucht hoch.
Er hatte sich einen Unterschlupf im fünften Stock eingerichtet. Der Raum war klein und fensterlos – alle Lagerräume befanden sich zwischen den Außenwänden und dem Atrium –, aber Kurtz hatte ein Verlängerungskabel durch die marode Decke gezogen und eine primitive Lampenfassung daran befestigt. Der Schlafsack auf dem Boden stammte von Arlene. Zusammen mit einer alten Matratze gab das ein ganz passables Lager ab. Eine Taschenlampe und ein paar Bücher lagen auf dem Fußboden.
Seine beiden Waffen – gut geölt und schussbereit in Putzlumpen gehüllt – waren zusammen mit einem billigen Trainingsanzug, den er als Pyjama verwendete, in der Sporttasche, die er noch aus dem Knast in Attica besaß, verstaut. Dieses Zimmer verfügte sogar über ein einfaches Badezimmer mit Toilette, die man irgendwann in den 20ern eingebaut hatte, als das Gebäude noch aus einer Eisfabrik mit ein paar Büroräumen bestand. Kurtz schleppte manchmal Wasser aus
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