Joe Kurtz 01 - Eiskalt erwischt
Schlupflochs drückte.
Als sich Kurtz’ Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte er weit aufgerissene weiße Augen und bebende Schultern erkennen; lange, nackte, zitternde Arme, die aus einem zerrissenen T-Shirt ragten. Selbst in dem trüben Licht waren die Blutergüsse und Einstichstellen an den Armen nicht zu übersehen. Der magere Mann versuchte, sich noch tiefer in die Ecke zurückzuziehen.
»Hey, alles in Ordnung, Pruno«, sagte Kurtz. Er streckte die Hand aus und tätschelte den Arm. Er bestand nur noch aus Haut und Knochen und war kälter als viele Leichen, mit denen es Kurtz zu tun gehabt hatte. »Ich bin es, Joe Kurtz.«
»Joseph?«, reagierte die zitternde Gestalt. »Bist du das wirklich, Joseph?«
»Ja.«
»Wann bist du rausgekommen?«
»Ist noch nicht lange her.«
Pruno kam weiter nach vorn und versuchte, die zusammengefaltete Pappkiste und die stinkende Decke glatt zu streichen, auf denen er kauerte. Der Rest der Nische war mit Flaschen und Zeitungen angefüllt, die der Mann offenbar als Isolierung nutzte.
»Wo zum Teufel ist dein Schlafsack, Pruno?«
»Jemand hat ihn gestohlen, Joseph. Das war wohl vor ein paar Tagen. Glaube ich wenigstens ... es ist noch nicht lange her. Gerade als es anfing, richtig kalt zu werden.«
»Du könntest ins Asyl gehen, Mann.«
Pruno hob eine der Weinflaschen und bot sie Kurtz an. Kurtz schüttelte den Kopf. »Im Asyl werden die Verhältnisse immer übler«, sagte der obdachlose Junkie. »Arbeiten, um zu schlafen, lautet da jetzt das Motto.«
»Arbeiten ist immer noch besser als erfrieren«, fand Kurtz.
Pruno zuckte die Achseln. »Ich finde eine bessere Decke, wenn einer von den alten Säcken auf der Straße stirbt. Wahrscheinlich, sobald der erste Schnee fällt. Und wie sind die Jungs im C-Block so, Joseph?«
»Letztes Jahr bin ich in den D-Block verlegt worden. Aber ich habe gehört, dass Billy vom C-Block nach L. A. verlegt und dort entlassen wurde. Er arbeitet jetzt beim Film.«
»Er ist Schauspieler?«
»Er sorgt für die Sicherheit am Set.«
Pruno gab einen Laut von sich, der als Lachen begann und als Husten endete. »Typische Schutzgeldmasche – die Leute vom Film fressen das immer wieder. Und was ist mit dir, Joseph? Ich habe gehört, dass die Mosque-Bruderschaft eine Fatwah gegen dich verhängt hat. Als ob die wüssten, was das überhaupt bedeutet.«
Kurtz machte eine wegwerfende Handbewegung. »Die meisten Leute wissen, dass die D-Bruderschaft gar nicht das Geld dafür hat. Ich mache mir da keine Sorgen. Hey, Pruno – weißt du was über irgendwelche ausgeraubten Lastwagen, die dem Farino-Klan gehören?«
Die ausgemergelte bärtige Gestalt blickte von ihrer Flasche auf. »Arbeitest du mittlerweile für die Farinos, Joseph?«
»Nicht wirklich. Ich tue nur das, was ich früher auch gemacht habe.«
»Was willst du über diese Laster wissen?«
»Wer sie überfällt und wann der nächste Überfall ansteht.«
Pruno schloss die Augen. Das Licht drang grau durch die Überführung herein und leuchtete das dreckige, hagere Gesicht eben genug aus, um Kurtz an die geschnitzten Ikonen von Jesus zu erinnern, die er in Mexiko gesehen hatte. »Ich glaube, ich habe da etwas von so einem schmierigen Typen namens Doo-Rag läuten hören, der nach dem letzten Überfall mit Kippen und Technik gedealt hat. Aber niemand erzählt mir was von Verbrechen, die noch in der Planungsphase stecken.«
»Doo-Rag von den Bloods?«
»Ja. Kennst du ihn?«
Kurtz schüttelte den Kopf. »Es gab da einen Typen im D-Block, der in der Dusche aufgeschlitzt wurde, weil er angeblich einem Gangmitglied der Bloods namens Doo-Rag Geld schuldete. Es hieß, dieser Doo-Rag habe eine Saison lang in der NBA gespielt.«
»So ein Quatsch.« Pruno hob jede einzelne Silbe hervor. »Doo-Rag ist an die NBA nicht näher rangekommen als an die öffentlichen Rasenflächen im Delaware Park.«
»Da spielen sie auch ziemlich gut«, meinte Kurtz. »Würde ein Blood wie Doo-Rag sich von einem Ex-Crip was vorschreiben lassen?«
Pruno hustete wieder. »Heutzutage macht jeder mit jedem Geschäfte, Joseph. Das ist die Globalisierung. Hast du in den letzten zehn Jahren mal eine dieser Werbebroschüren von einem der Colleges aus der Ivy League gesehen?«
»Nein. Merkwürdigerweise sind die nicht stapelweise in meinem Briefkasten gelandet, während ich weg war.« Er wusste um Prunos Vergangenheit als Dozent am College.
»Vielfalt und Toleranz«, sagte dieser und trank den letzten Rest seines Weins
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