Joe Kurtz 01 - Eiskalt erwischt
Tankstellenshop, kaufte ein Einwegfeuerzeug, eine Rolle Schnur und vier Cola – das einzige Getränk, das in Glasflaschen verkauft wurde. Kurtz goss die braune Brühe weg und füllte die Flaschen mit Benzin, wobei er strikt darauf achtete, nicht in Sichtweite des Tankwarts zu geraten. Hinterher ging er in die Toilette, zog sich seine Boxershorts aus und riss sie in Fetzen. Danach stopfte er die Stoffstücke in die mit Benzin gefüllten Flaschen und deponierte sie vorsichtig in die Aussparung des Reservereifens im Kofferraum des Buick. Er hatte noch keinen genauen Plan, ging aber davon aus, dass ihm die Dinger nützlich sein würden, wenn und falls er dem Seneca Social Club einen Besuch abstattete.
Ohne Unterhose war es draußen deutlich kälter.
Der Schnee versuchte, den Weg für den ersten novemberlichen Schneesturm in Buffalo zu bahnen, aber es blieb kaum etwas auf der Straße liegen. Kurtz fuhr zur Unterführung des Expressway, stellte den Wagen in einer Nebenstraße ab und kletterte die Betonrampe zu Prunos Unterschlupf hinauf. Die kalte Betonnische war leer. Kurtz fiel noch ein anderer Ort ein, an dem sich der alte Mann manchmal aufhielt, und er fuhr zum Verschiebebahnhof, der ohnehin auf seinem Weg lag.
Hier verlief ein Teil der Stadtautobahn oberhalb von 20 Gleisen. In dem bisschen Schutz, den die darunterliegende Brücke bot, erstreckte sich eine armselige Stadt aus Pappkartons, Wellblechdächern, offenen Feuern und ein paar flackernden Windlichtern. Diesellokomotiven röhrten und schepperten in dem großflächigen Areal ein paar Hundert Meter hinter der Obdachlosensiedlung. Das bisschen an Skyline, das Buffalo zu bieten hatte, erhob sich hinter den Gleisen. Kurtz kletterte die Betonrampe hinunter und ging von Hütte zu Hütte.
Pruno spielte Schach mit Soul Dad. Sein Blick war benommen – er war heftig auf Drogen, aber das schien sein taktisches Talent nicht zu beeinflussen. Soul Dad winkte ihn herein. Kurtz musste sich tief bücken, um nicht gegen den Holzrahmen zu stoßen, an dem die Plastikplane befestigt war.
»Joseph.« Soul Dad streckte ihm seine Hand entgegen. »Es ist mir eine Freude, dich wiederzusehen.« Kurtz schüttelte die kräftige Hand des kahlköpfigen Farbigen. Soul Dad befand sich etwa in Prunos Alter, aber in weitaus besserer körperlicher Verfassung – einer der wenigen weder süchtigen noch schizophrenen Obdachlosen, die Kurtz bislang kennengelernt hatte. Soul Dad war stämmig, glatzköpfig, bärtig und hatte die Angewohnheit, im Winter ein ausrangiertes Jackett mit Weste über zwei oder drei Hemden zu tragen. Der Mann besaß eine warme, betörende Stimme, die Weisheit eines Gelehrten und – wie Kurtz fand – die traurigsten Augen der Welt.
Pruno stierte ihn an, als wäre Kurtz eine außerirdische Lebensform, die sich gerade in ihre Gegenwart teleportiert hatte. »Joseph?« Der spindeldürre Mann machte in der von Kurtz geschenkten Bomberjacke einen nicht mehr ganz so verfrorenen Eindruck. Sophia Farinos Spende an die Bedürftigen, dachte Kurtz, dann lächelte er, als ihm bewusst wurde, dass er selbst zu diesen Bedürftigen gehört hatte, als sie ihm die Jacke schenkte.
»Zieh dir eine Kiste ran, Joseph«, dröhnte Soul Dad. »Wir nähern uns gerade der Schlussphase.«
»Ich sehe einfach eine Weile zu«, sagte Kurtz.
»Unsinn. Das Spiel hier dauert bestimmt noch einen Tag oder zwei. Möchtest du einen Kaffee?«
Als der alte Mann sich über eine ramponierte Kochplatte im hinteren Teil des Schuppens beugte, bemerkte Kurtz, wie muskulös sich Soul Dads Rücken, Schultern und Oberarme unter der dünnen Jacke abzeichneten. Kurtz hatte keine Ahnung, von wo sie den Strom für den Schuppen abzweigten, aber die Kochplatte funktionierte und in der Ecke neben dem Schlafsack stand ein wieder auf Vordermann gebrachter Laptop. Irgendein chaotisches Fraktalbild – mit ziemlicher Sicherheit selbst programmiert – fungierte als Bildschirmschoner und verstärkte den Schein des Windlichts in der kleinen Hütte.
Soul Dad und Kurtz schlürften Kaffee, während Pruno hin und her wippte und dann und wann die Augen schloss, um seine innere Lichtshow besser würdigen zu können. Soul Dad stellte einige höfliche Fragen, wie es Kurtz in den letzten elfeinhalb Jahren ergangen war, und Kurtz versuchte, einigermaßen witzig zu antworten. Seine Formulierungen mussten zumindest teilweise clever gewesen sein, denn Soul Dads dröhnendes Lachen war laut genug, um Pruno aus seiner Versunkenheit
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