Joe Kurtz 02 - Bitterkalt
Splitter und Bruchstücke an, was die verwitterte Fassade nur noch trostloser erscheinen ließ. Abgesehen von den zwei Haupteingängen im Turm gab es noch vier große, überdachte, bogenförmige Durchgänge im fünfstöckigen Zentralgebäude, die Toren von Luftschiffhangars glichen und seinerzeit gewaltige Fahrgastströme ohne übermäßiges Gedrängel bewältigen konnten.
Heute drängelten sich hier keine Menschenmassen mehr. Sogar die hügelige Zufahrt zum verlassenen Parkplatz lag unter dem Schnee begraben. Kurtz parkte den Porsche Boxster in einer Seitenstraße und ging an den Findlingen vorbei, die auf der Zufahrt platziert worden waren, um das Gelände für Fahrzeuge abzusperren. Neugierige, Obdachlose und Kinder, die sich einen Spaß daraus machten, auch noch die letzten Scheiben einzuwerfen, hatten Unmengen an alten und neuen Fußabdrücken im Schnee des Parkplatzes hinterlassen, sodass es für Kurtz unmöglich war zu erkennen, wer hier wann entlanggegangen war.
Er folgte einem ausgetretenen Pfad zum Hurrikan-Schutzzaun um den eigentlichen Bahnhof herum und fand eine Stelle, an der direkt unter den gelben BETRETEN VERBOTEN! -Schildern ein meterhohes Stück Zaun herausgeschnitten war. Er ging unter dem wuchtigen Überhang hindurch, auf dem das rostige Metall die Aufschrift NEW YORK & BUFFALO RAILROAD im Dämmerlicht gerade noch erahnen ließ. Die riesigen Türen waren mit Metallblechen und Sperrholz fest verrammelt, aber bei einem der Fenster war eine Ecke aufgehebelt worden. Kurtz zwängte sich durch den Spalt ins Innere.
Drinnen war es deutlich kälter als draußen. Und dunkler. Die großen hohen Fenster, durch die einst Lichtspeere auf die Soldaten, die im Zweiten Weltkrieg zur Front aufbrachen, und ihre weinenden Angehörigen gefallen waren, empfingen ihn vernagelt. Ein paar aufgescheuchte Tauben flogen im düsteren Empfangsbereich auf, als Kurtz durch den Müll und Schutt knirschte.
Die alten Wartezonen sowie die Rampen, die zu den Gleisen führten, lagen wie ausgestorben da. Kurtz stieg eine kurze Treppe zum Turm hinauf, wo sich einst die Büros der Eisenbahngesellschaft befunden hatten, schob eine Barriere aus Sperrholz zur Seite und wanderte langsam durch schmale Gänge zur Haupthalle. Ratten raschelten. Tauben flatterten.
Kurtz zog seine Pistole, ließ ein Geschoss in die Kammer gleiten und behielt die Waffe in der Hand.
»Joseph.« Das Flüstern schien aus der gegenüberliegenden Ecke zu kommen, zwölf Meter von Kurtz entfernt, doch da gab es nur Schatten und ein Gewirr aus alten Sitzbänken.
Er hob die Waffe halb in die Höhe.
»Hier Joseph.«
Kurtz ging weiter in die Halle hinein und spähte in der Dunkelheit zu den Zwischenetagen hinauf. Ein Schatten winkte ihm zu.
Kurtz fand die Treppe und lief hinauf, wobei er eine Spur im heruntergerieselten Putz hinterließ. Der alte Mann erwartete ihn an der Brüstung der zweiten Zwischenetage. Er trug etwas bei sich, das wie ein alter Kleidersack aussah.
»Interessante Akustik«, freute sich Pruno. Das stoppelige Gesicht seines langjährigen Informanten sah im Dämmerlicht noch blasser aus als sonst. »Sie haben unbeabsichtigt ein Flüstergewölbe konstruiert, als sie diese Halle bauten. Alle Geräusche, die hier erzeugt werden, scheinen sich in der Ecke dort unten zu sammeln.«
»Ja«, bestätige Kurtz ungeduldig. »Was gibt es, Pruno? Willst du wissen, was mit Frears los ist?«
»Mit John?«, fragte der alte Heroinabhängige. »Nun, natürlich will ich es wissen, schließlich habe ich den Kontakt zwischen euch beiden hergestellt. Aber ich war sowieso davon ausgegangen, dass du dich entschieden hast, ihm nicht zu helfen. Es ist fast eine Woche her. Um ehrlich zu sein, Joseph, ich hatte es fast vergessen.«
»Worum geht es dann?«, wollte Kurtz wissen. »Und warum hier?« Er deutete auf die düstere Halle und die noch düstereren Zwischenetagen. »Das ist nicht dein üblicher Stil für einen Unterschlupf.«
Pruno nickte. »Wie es scheint, habe ich buchstäblich eine Leiche im Keller meines üblichen Unterschlupfs liegen.«
»Eine Leiche. Wer ist es?«
»Du kennst ihn nicht, Joseph. Ein wohnungsloser Altersgenosse von mir. Ich glaube, er hieß Clark Povitch und hat früher mal als Buchhalter gearbeitet, aber auf der Straße kennt man ihn seit ungefähr 15 Jahren als Typee.«
»Woran ist er gestorben?«
»An einer Kugel«, erwiderte Pruno. »Oder zwei Kugeln, wie ich glaube, allerdings bin ich kein Gerichtsmediziner.«
»Jemand hat deinen
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