Joe Kurtz 02 - Bitterkalt
uniformierter Kollege saßen auf Klappstühlen davor. Kurtz stand einen Moment lang da, aber als die Zivilpolizistin zu ihm aufblickte, entfernte er sich mit einem unverbindlichen Lächeln in das nächstgelegene Zimmer. Ein uralter Mann lag schlafend oder im Koma im einzigen belegten Bett. Die Augen des Burschen waren tief in die Höhlen gesunken, so wie Kurtz es von Leichen kannte, die seit mehreren Wochen in der Pathologie lagen. Kurtz steckte die Smith & Wesson zurück ins Holster und blieb kurz neben dem Bett des alten Mannes stehen. Die knorrige Hand war mit Altersflecken und Infusionseinstichen übersät. Kurtz berührte die gekrümmten Finger mit ihren langen gelben Nägeln kurz, dann verließ er das Zimmer und fuhr mit dem Aufzug in die Tiefgarage.
Der Boxster war ein wunderschöner Sportwagen, aber auf Schnee und Eis lenkte er sich beschissen. Kurtz schlug auf der Kensington den Weg nach Süden Richtung Innenstadt und Marina Towers ein, als sein Handy wieder klingelte.
»Hast du Rachel gesehen, Joe? Wie geht es ihr?«
Kurtz berichtete Arlene, was die Schwester ihm erzählt hatte.
»Und was ist mit Donald Rafferty?«
»Er wird den Unfall nicht überleben«, erklärte Kurtz.
Arlene schwieg einen Moment. »Ich wollte zum Krankenhaus fahren. Mr. Frears sagte, dass er schon klarkommt, aber Mrs. Campbell, eine der älteren Nachbarinnen, rief mich an und sagte, vor ihrem Haus, einen halben Block weiter, parke ein grauer Ford, in dem ein verdächtig aussehender Mann sitze.«
»Mist«, sagte Kurtz.
»Mrs. Campbell hat die Polizei verständigt.«
»Und?«
»Und ich habe durch die Jalousie zugesehen. Der Streifenwagen hielt, ein Polizist stieg aus, der Mann im geparkten Wagen zeigte ihm irgendwas und dann hatte der Beamte es mit dem Wegfahren plötzlich sehr eilig.«
»Wahrscheinlich Brubaker oder Myers, einer der beiden Detectives von der Mordkommission, die mich ständig beschatten«, spekulierte Kurtz. »Aber es könnte auch Hansen ... Captain Millworth sein. Ich weiß nicht, wie er auf eine mögliche Verbindung zu Frears gestoßen sein könnte, aber ...«
»Ich habe Alans Fernglas benutzt. Es ist ein dicker Mann, fast kahl. Nicht sehr groß. Brauner Anzug.«
»Das ist Myers«, erwiderte Kurtz. Er bog an der Ausfahrt East Ferry ab und fuhr in Richtung Cheektowaga wieder auf die Schnellstraße. »Arlene, wir wissen nicht, ob Brubaker und Myers direkt für Hansen arbeiten. Bleib, wo du bist. Ich bin in 15 Minuten bei dir.«
»Und was willst du tun, Joe? Warum nehme ich nicht einfach Mr. Frears und fahre zu Gail?«
»Kannst du das Haus verlassen, ohne gesehen zu werden?«
»Sicher. Durch den Carport und hinten über die Straße zu den Dzwrjskys. Mona wird mir den Kombi ihres Exmannes leihen. Gail ist bei der Arbeit, aber ich weiß, wo ihr Ersatzschlüssel liegt. Soll Detective Myers ruhig den ganzen Tag in seinem Wagen schwitzen.«
Kurtz verlangsamte den Boxster auf unter 100. »Ich weiß nicht recht ...«
»Joe, da ist noch etwas. Ich habe unsere geschäftlichen E-Mails von hier aus abgerufen. Eine der Nachrichten ging in Kopie auch an mich. Sie wurde um kurz nach 13 Uhr verschickt und ist nur mit ›P.‹ unterschrieben.«
Pruno, dachte Kurtz. Wollte wahrscheinlich nachfragen, ob er sich mit Frears getroffen hatte. »Ich glaube, das ist nicht so wichtig«, versuchte Kurtz, sie abzubügeln.
»In der Nachricht heißt es, dass es dringend ist, Joe. Warte, ich lese sie dir vor – Joseph, es ist absolut unumgänglich, dass du dich so schnell wie möglich mit mir triffst, und zwar an dem Ort, wo sich die Sache am Abend vor der Sommersonnenwende zugetragen hat. Es ist wirklich dringend. P. «
»Oh, Mann«, seufzte Kurtz. »Na gut. Ruf mich an, sobald du in Gails Wohnung angekommen bist.« Er klappte das Telefon zu, schoss mit hoher Geschwindigkeit in die Ausfahrt Delavan Avenue hinein, fuhr einen Block nach Osten und beschleunigte dann auf der Fillmore Avenue in südlicher Richtung.
Der alte Hauptbahnhof von Buffalo war in seiner Blütezeit ein imposantes und beeindruckendes Gebäude gewesen; jetzt, wo er seit mehr als zehn Jahren stillgelegt war, glich er einer Ruine. Der ausgedehnte Komplex wurde von einem 20-stöckigen Turm dominiert, der an einem der dräuenden stufenförmigen Bauten aus Fritz Langs Metropolis erinnerte. Im elften Stock waren in jeder Ecke des Turms überdimensionale Uhren zu unterschiedlichen Zeiten stehen geblieben. Aus Hunderten zerbrochener Fenster starrten den Betrachter
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