Joe Kurtz 02 - Bitterkalt
hatte. Alle vier hier gelagerten Männerleichen wiesen das gleiche Grinsen auf. Kendall war es, den Hansen für Captain Robert Gaines Millworths Selbstmord als Ersatz ausgewählt hatte. Die zahnmedizinischen Unterlagen sollten längst bereitliegen, sodass er nur noch die persönlichen Daten nachtragen musste.
Wenn er nur endlich diesen jämmerlichen Wicht Conway erreichte!
Beruhigt, dass niemand während seiner Abwesenheit im Kühlraum gewesen war oder sich am Inhalt zu schaffen gemacht hatte, zog Hansen den Reißverschluss des Leichensacks wieder zu, verschloss die Kammer sorgfältig und fuhr in seiner Cadillac-Geländelimousine nach Hause. Der Anblick der gefrorenen Rinderhälften hatte ihn hungrig gemacht. Er rief Donna von seinem Mobiltelefon an und sagte ihr, sie sollte ihre Pläne für das Abendessen auf morgen verschieben; heute Abend würden sie auf dem Gasgrill Steaks braten.
Die Wohnung von Arlenes Schwägerin Gail lag im ersten Stock eines alten Zweifamilienhauses an der Colvin Avenue nördlich des Parks. Gail war geschieden und heute für eine Doppelschicht im Krankenhaus eingeteilt; Arlene hatte erklärt, dass Gail in der Klinik schlafen und erst am nächsten Nachmittag nach Hause zurückkehren würde. Das ist gut, dachte Kurtz, als Arlene die Tür aufschloss und ihn und Pruno die Seitentreppe hinaufließ.
Oben betrachtete Kurtz die Herde von Flüchtlingen, die er um sich geschart hatte – Frears umarmte Pruno liebevoll, als würde der alte Junkie nicht wie ein Urinal riechen. Arlene trug ihre 45er immer noch schussbereit in der Tasche ihres Cardigans mit sich herum. In all seinen Jahren als Privatdetektiv, in denen Pruno ihm als Informant gedient hatte, hatte Arlene den alten Obdachlosen nie kennengelernt. Jetzt waren sie eifrig dabei, sich vorzustellen und zu unterhalten. Kurtz, der sein ganzes Leben lang als Einzelgänger zugebracht hatte, fühlte sich allmählich wie Noah und fürchtete, er würde eine größere Arche bauen müssen, wenn das mit den Flüchtlingen so weiterging.
Die vier saßen in dem kleinen Wohnzimmer. Essensgerüche drangen aus der angrenzenden Küche herüber. Gelegentlich stand Arlene auf, um einen Blick in die Töpfe zu werfen, und dann ruhte die Unterhaltung, bis sie ins Zimmer zurückkam.
»Wie ist die Lage, Mr. Kurtz?«, erkundigte sich John Wellington Frears, als sie alle wieder wie eine glückliche Familie Streifenhörnchen versammelt waren.
Kurtz zog seinen Kapitänsmantel aus – es war heiß in dem kleinen Apartment – und berichtete, was er über James B. Hansen beziehungsweise den hoch geschätzten Captain der Mordkommission Robert Millworth in Erfahrung gebracht hatte.
»Dieser Zahnarzt ... Conway ... hat dir das alles gestanden?«, hakte Pruno nach.
»Nicht in so vielen Worten«, meinte Kurtz. »Sagen wir mal, er hat es mir bestätigt.«
»Ich schätze, dass Dr. Conways Leben im Moment keinen müden Pfifferling mehr wert ist«, sagte Pruno.
Da musste Kurtz ihm beipflichten.
»Was meinst du, wie dieser Millworth ... Hansen ... auf die Verbindung zwischen Mr. Frears und dir gestoßen ist, Joe?«, überlegte Arlene.
»Wir können nicht sicher sein, dass er darauf gestoßen ist.«
»Aber es wäre gefährlich, das Gegenteil anzunehmen«, meldete sich Frears zu Wort.
»Es wäre töricht«, erklärte Pruno, »eine Strategie basierend auf Vermutungen über die Absichten des Feindes aufzustellen ... schätzt seine Fähigkeiten ab und bereitet euch entsprechend vor.«
»Na ja«, sagte Arlene, »ein Captain der Mordkommission kann im Prinzip sämtliche Polizisten der Stadt dafür einsetzen, Mr. Frears und den Rest von uns aufzuspüren.«
Kurtz schüttelte den Kopf. »Nicht ohne dass seine Tarnung auffliegt. Wir dürfen nicht vergessen, dass dieser Hansen kein echter Cop ist.«
»Nein«, äußerte Frears mit monotoner Stimme. »Er ist ein Serienvergewaltiger und Kindermörder.«
Das brachte die Unterhaltung für einen Moment zum Erliegen. Schließlich fragte Arlene: »Kann er uns hier finden, Joe?«
»Das bezweifle ich. Nicht, wenn Myers dir nicht gefolgt ist.«
»Ist er nicht«, bestätigte Arlene. »Ich habe darauf geachtet, dass niemand hinter uns her ist. Aber sie dürften misstrauisch werden, wenn Mr. Frears und ich das Haus morgen nicht verlassen.«
»Oder wenn heute Abend keine Lichter angehen«, warf Pruno ein. Draußen wurde es langsam dunkel.
»Die Lampen im Wohnzimmer hängen an einer Zeitschaltuhr, die ich immer benutze, wenn ich in Urlaub
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