Joe Kurtz 02 - Bitterkalt
Freund in deiner Hütte erschossen?«
»Genau genommen war er nicht mein Freund, aber bei diesem unfreundlichen Wetter machte Typee gelegentlich Gebrauch von meiner Gastfreundschaft – insbesondere von meinem Spiritusbrenner –, wenn ich nicht zu Hause war.«
»Weißt du, wer ihn getötet hat?«
»Nur so eine Ahnung. Aber es ergibt irgendwie keinen Sinn, Joseph.«
»Erzähl’s mir trotzdem.«
»Eine Bekannte von mir, eine Lady namens Mrs. Tuella Dean – leider auch ohne festes Domizil –, hat heute an der Ecke Elmwood und Market auf einem Abluftgitter genächtigt, unter ein paar Zeitungen. Auf diese Weise war sie unabsichtlich perfekt getarnt, als sie einen Polizisten neben seinem Streifenwagen hörte, der entweder in sein Funkgerät oder sein Mobiltelefon sprach. Der Polizist beschrieb jemandem den Weg zu meinem Anwesen und nannte meinen Namen ... alle meine Namen, um genau zu sein ... und er beschrieb mich sogar seinem Gesprächspartner. Mrs. Dean zufolge war sein Ton beinahe unterwürfig, als würde er mit einem Vorgesetzten sprechen. Sie erwähnte das mir gegenüber, als ich sie in der Nähe des HSBC-Stadions traf. Kurz danach ging ich nach Hause und entdeckte Typees Leiche.«
Kurtz holte tief Luft. »Hat diese Mrs. Dean den Namen des Gesprächspartners am anderen Ende der Leitung gehört?«
»Das hat sie in der Tat. Ein Captain Millworth. Ich würde mal vermuten, dass damit ein Captain der Polizei gemeint ist.«
Kurtz stieß den Atem aus.
»Auf den ersten Blick scheint es da keine Verbindung zu geben«, sagte Pruno, »weil leitende Polizeibeamte nicht gerade dafür bekannt sind, dass sie Obdachlose ermorden. Doch es wäre ein zu großer Zufall, wenn die Ereignisse nichts miteinander zu tun hätten. Und es gibt hier noch einen weiteren kleinen Zufall, der mich zutiefst beunruhigt.«
»Was denn?«
»Für einen Fremden«, sagte Pruno, »für jemanden, der mich nur durch die Beschreibung eines anderen kennt, könnte Typee ein bisschen wie ich aussehen. Sogar mehr als nur ein bisschen, wenn ich es recht bedenke.«
Kurtz streckte die Hand aus und ergriff durch den Mantel und die anderen Lumpen hindurch den Ellenbogen seines alten Freundes. »Komm«, sagte er leise und hörte, wie sein Flüstern unten in der Dunkelheit wiederholt wurde. »Wir verschwinden von hier.«
Kapitel 23
Hansen konnte Dr. Howard Conway nicht telefonisch erreichen, was ihn beunruhigte. Es beunruhigte ihn sogar sehr. Er überlegte kurz, nach Cleveland zu fahren und bei Conway nach dem Rechten zu sehen – um sicherzugehen, dass der alte Sack nicht gestorben war oder ihn schließlich doch hängen gelassen hatte –, aber dafür war einfach nicht die Zeit. Zu viel geschah zu schnell und in den nächsten 24 Stunden würde noch mehr noch schneller geschehen müssen.
Er sagte seine Termine für den restlichen Nachmittag ab, rief Donna an, um ihr zu sagen, dass er heute früher nach Hause kam, meldete sich bei Brubaker, um zu fragen, ob er Kurtz in seinem Büro oder Hotel angetroffen hatte, kontrollierte durch einen weiteren Anruf, ob Myers noch das Haus der Sekretärin observierte, und dann fuhr er zu einem heruntergekommenen Lagerhaus in der Nähe des Buffalo River. Hinter einem verlassenen Stahlwerk gab es eine Reihe von Kühlkammern – jede mit einem eigenen Notstromgenerator ausgerüstet –, die an Gastronomen, Fleischgroßhändler und andere, die zusätzlichen Stauraum benötigten, vermietet wurden. Hansen hatte vor ziemlich genau neun Monaten eine der Kammern angemietet.
Hansen schloss die beiden teuren Vorhängeschlösser auf und trat in das kalte Innere des Kühlabteils. Fünf Rinderhälften hingen hier an Fleischerhaken von der Decke. Hansen hatte geplant, eine davon zu spendieren, wenn er im Juli eine Grillparty in seinem Haus in Tonawanda für seine Mitarbeiter und ihre Frauen gab. Momentan sah es so aus, als würde er sich dann schon nicht mehr in Buffalo aufhalten. An der Rückwand waren hohe Stahlregale aufgebaut. Darauf lagen vier große, blickdichte Leichensäcke, in denen sich noch mehr gefrorenes Fleisch befand.
Er zog den Reißverschluss von einem der Säcke auf. Mr. Gabriel Kendall, 50 Jahre alt, identische Größe, identisches Gewicht und identische Statur wie James B. Hansen, starrte ihm durch den Frostrand um seine offenen Augen entgegen. Die Lippen des Kadavers waren blau und über die Zähne zurückgezogen, in der Position eingefroren, in der Dr. Conway im letzten Sommer in Cleveland die Zähne geröntgt
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