Joe von der Milchstraße
das Buch unfehlbar ist!« sagte Mali.
»Es gibt keinerlei Gründe für die Annahme, daß ich bald sterbe«, wich Glimmung aus.
»Nein, es gibt keine«, antwortete Mali. »Ich habe meine Frage gestellt, um etwas zu erfahren. Ich habe es jetzt erfahren.«
»Jedesmal, wenn ich niedergeschlagen bin«, sagte Glimmung, »denke ich über das Buch der Kalenden nach. Dann glaube ich an ihre Prophezeiung, daß es mir nicht gelingen wird, Heldscalla zu heben. Dann glaube ich, daß ich überhaupt nichts erreichen werde, daß die Kathedrale bis in alle Ewigkeit auf dem Grunde des Mare Nostrum bleiben wird.«
»Aber das ist doch nur in den Augenblicken, in denen Ihre Energie Sie verläßt«, sagte Joe.
»Jedes Lebewesen«, sagte Glimmung, »durchläuft Phasen der Expansion und Phasen der Kontraktion. Der Rhythmus des Lebens vollzieht sich bei mir genauso wie bei Ihnen. Ich bin zwar größer und älter; ich kann vieles tun, was keiner von Ihnen vermag, nicht einmal, wenn Sie alle Ihre Kräfte vereinigen. Aber es gibt Augenblicke, da steht die Sonne nur noch niedrig am Himmel; wenn es dämmert, kurz bevor die wirkliche Nacht beginnt. Dann kommt nur noch von hier und da ein schwacher Schimmer des Lichtes. Ich sehe ihn, aber er ist weit weg von mir. Da, wo ich lebe, gibt es kein Licht. Natürlich könnte ich um mich herum Licht und Leben schaffen, aber es würde nicht aus sich selbst heraus existieren, es wäre nur eine Verlängerung meiner selbst. Das ist nun ganz anders, seit Sie gekommen sind. Sie sind die letzte Gruppe. Miß Mali Yojez, Mr. Fernwright, Mr. Baldwin und alle, die mit ihnen eingetroffen sind, sind die letzten.«
Ich frage mich, dachte Joe, ob wir diesen Planeten wohl jemals wieder verlassen. Er dachte an die Erde und an sein dortiges Leben; er dachte an das Spiel und an seinen Raum mit dem leeren, schwarzen Fenster; er dachte an das Micky-Maus-Geld der Regierung, das jeden Morgen körbeweise gebracht wurde. Dann fiel ihm Kate ein. Ich werde sie nicht mehr anrufen, dachte er. Aus irgendeinem Grunde bin ich mir dessen nun ganz sicher. Wahrscheinlich wegen Mali. Oder vielleicht wegen dem ganz Großen … Glimmung und sein gewaltiges Vorhaben!
Dann dachte er wieder an Glimmungs fürchterlichen Sturz durch den Boden. Zehn Stockwerke tief, bis in den Keller! Das soll etwas heißen, dachte er, und dann kam ihm auf einmal eine Erkenntnis: Glimmung kannte sein Gewicht. Wie Mali gesagt hatte, konnte ihn kein Fußboden halten. Glimmung hatte es mit Absicht getan.
Vielleicht wollte er uns auf diese Weise die Angst vor ihm nehmen, dachte Joe. Wir sollten ihn so sehen, wie er wirklich ist. Aber vielleicht haben wir deshalb nur noch mehr Angst vor ihm als vorher. Eben weil wir ihn nun gesehen haben.
»Fürchten Sie sich vor mir?« spürte Joe Glimmungs Gedanken.
»Ich habe Angst vor dem ganzen Unternehmen«, antwortete Joe. »Die Chance, daß wir Erfolg haben, ist zu gering.«
»Sie haben recht«, sagte Glimmung, »Wenn wir über Chancen, Möglichkeiten und statistische Wahrscheinlichkeiten sprechen. Es kann klappen; es kann ebensogut nicht klappen. Ich behaupte nicht, es zu wissen. Ich hoffe es nur. Ich habe keinerlei Gewißheit über die Zukunft – niemand hat diese Gewißheit, auch die Kalenden nicht! Das ist die Basis, auf der sich meine Absicht gründet, Heldscalla zu heben.«
»Aber etwas durchzuführen und dann zu scheitern –« sagte Joe.
»Ist dieser Gedanke so schrecklich?« fragte Glimmung. »Ich werde Ihnen allen jetzt etwas über sich selbst erzählen, etwas über eine Eigenschaft, die Ihnen allen gemein ist: Sie alle sind so oft gescheitert, daß Sie Angst vor dem Scheitern bekommen haben.«
So ist es, genau so ist es, dachte Joe.
»Was ich tue ist folgendes:«, sagte Glimmung, »Ich versuche, die Grenzen, meiner Kraft zu erfahren. Die Möglichkeit, diese Grenzen auf abstraktem Wege zu erfahren, gibt es nicht. Man kann die Größe seiner Kraft nur bei einer Sache wie dieser ermessen, bei einer Aufgabe, die mir die tatsächliche Höchstbelastbarkeit meiner – zugegebenermaßen begrenzten – Stärke klar vor Augen führt. Auf diese Weise wird das Scheitern über mich genauso viel aussagen wie der Erfolg. Verstehen Sie, was ich sagen will? Nein, Sie können es nicht verstehen. Sie sind gelähmt. Deshalb habe ich Sie hierhergeholt. Ich will erreichen, daß Sie sich endlich selbst erkennen. Jeder einzelne von Ihnen wird sich selbst erkennen!«
»Und wenn wir scheitern?« fragte Mali.
»Die
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