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Joe von der Milchstraße

Joe von der Milchstraße

Titel: Joe von der Milchstraße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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Stimme.
    »Glimmung hat mir davon erzählt.«
    »Dann hat er es also auch gelesen. Es ist also keine Fälschung, die nur für mich angefertigt wurde. Wenn es so wäre, wärst du nicht hier.«
    Sie lachte und antwortete nicht. Und sie sanken immer tiefer.
    »Ich kann also annehmen, daß ich recht habe«, sagte Joe.
    Plötzlich leuchtete im Licht seiner Taschenlampe etwas Gelbes auf. Es schien ein Teil eines Gerippes zu sein. Im Lichtkegel von Malis Taschenlampe erschien ein Rückenwirbel. Das Ding sah aus wie das Wrack einer riesigen Arche. Wie eine Arche, dachte Joe, die gebaut wurde, um alles Leben aufzunehmen – und die auf den Grund des Mare Nostrum gesunken war. Für immer. Die Arche des Scheiterns, dachte Joe.
    »Was ist das?« fragte er Mali.
    »Ein Skelett.«
    »Wovon?« Er arbeitete sich an das Skelett heran und leuchtete es – so gut wie es ging – mit seiner Taschenlampe an. Mali folgte ihm.
    Sie paddelte dicht an ihn heran; durch die Plastikscheibe ihrer Sauerstoffmaske konnte er ihr Gesicht sehen. Ihre Stimme war belegt. Trotz ihres Wissens und ihrer Erfahrung schien sie nicht damit gerechnet zu haben, dies hier zu finden.
    »Es ist ein Glimmung«, sagte sie. »Das Skelett eines uralten, längst vergessenen Glimmung. Der dicken Korallenkruste nach zu schließen, liegt es hier unten schon seit mindestens einem Jahrhundert. Großer Gott!«
    »Soll das heißen, daß du nicht wußtest, daß es hier lag?« fragte Joe.
    »Vielleicht wußte Glimmung es; ich wußte es nicht. Aber –« Sie zögerte einen Moment. »Ich glaube es ist ein schwarzer Glimmung.«
    »Was ist das?« fragte Joe. Ein unbehagliches Gefühl keimte in ihm auf, das sich zu panischer Furcht steigerte.
    »Es ist fast unmöglich, das zu erklären«, sagte Mali. »Es ist sowas wie Antimaterie. Man kann versuchen, sie zu erklären, aber man kann sich nichts Richtiges darunter vorstellen. Es gibt Glimmungs und es gibt schwarze Glimmungs, und zwar im Verhältnis eins zu eins. Jeder einzelne Glimmung hat seinen Widerpart, seinen dunklen Doppelgänger. Früher oder später in seinem Leben muß er seinen schwarzen Widerpart töten, oder dieser wird ihn töten.«
    »Warum?« fragte Joe.
    »Das ist nun mal so. Es ist so, als ob man fragt: ›Warum ist ein Stein?‹ Verstehst du? Sie entwickelten sich einfach auf dieser Basis. Sie sind sich gegenseitig ausschließende, antagonistische Einheiten, beziehungsweise Elemente. Ja, Elemente wie in einem chemischen Prozeß. Weißt du, die schwarzen Glimmungs sind eigentlich nicht lebendig. Biochemisch gesehen, sind sie aber auch nicht tot. Sie sind wie fehlgeformte Kristalle, die dem Prinzip der Zerstörung unterliegen, und von ihm beherrscht werden. Manche sagen, daß dieses Prinzip nicht nur bei den Glimmungs existiert; manche sagen –« Sie unterbrach sich und schaute gespannt nach vorne. »Nein«, sagte sie, »nicht jetzt. Jetzt noch nicht! Nicht, wenn du das erste Mal hier unten bist.«
    Eine halbverfallene, bucklige Gestalt, um deren Glieder Fetzen von Tuch schlotterten, wankte auf sie zu, von der Strömung des trüben Wassers vorwärtsgetrieben. Sie hatte ein menschenähnliches Aussehen, so als sei sie einmal vor langer Zeit aufrecht, auf starken Beinen einhergeschritten. Nun war sie von der Taille aufwärts vornübergebeugt, und die Beine schlenkerten, als seien die Knochen aus ihnen herausgezogen. Joe starrte sie entgeistert an. Sie kam immer näher auf ihn zu, mit unbeholfenen, langsamen Schritten. Er konnte jetzt ihr Gesicht erkennen.
    Und er fühlte, wie eine Welt in ihm zusammenbrach.
    »Es ist deine Leiche«, sagte Mali. »Du mußt es verstehen; hier unten ist die Zeit nicht einfach –«
    »Sie ist blind«, sagte Joe. »Ihre Augen sind zerfressen. Sie sind leer. Kann sie mich sehen?«
    »Sie nimmt dich wahr. Sie möchte –« Sie zögerte.
    »Was möchte sie?« fragte er. Seine Stimme ließ ihr einen Schauer über den Rücken laufen.
    »Sie möchte mit dir sprechen«, sagte sie. Sie wurde ganz still. Sie sah nur noch was vor sich ging. Sie tat nichts. Sie half ihm nicht. Sie half der verrotteten Leiche nicht. Sie hat sich zurückgezogen und ist nicht mehr da, dachte er. Ich bin allein mit diesem Ding.
    »Was soll ich tun?« fragte er sie.
    »Nicht –« Wieder schwieg sie. Dann sagte sie abrupt: »Höre nicht auf das, was sie sagt!«
    »Soll das heißen, daß sie sprechen kann?« fragte er totenbleich. Was er sah, konnte er noch verkraften; irgendwie schaffte er es, seine Sinne

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