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Joe von der Milchstraße

Joe von der Milchstraße

Titel: Joe von der Milchstraße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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beisammenzuhalten, als seine eigene Leiche vor ihm stand. Aber was darüber hinausging, war zuviel für ihn. Es konnte keine Wirklichkeit sein. Dieses Ding mußte irgendein Wesen aus den Tiefen des Meeres sein, das, wenn es ihn sah, äußerlich seine Gestalt annehmen konnte.
    »Es wird dir sagen, daß du gehen sollst«, sagte Mali, »daß du diese Welt, diesen Ozean verlassen sollst. Daß du dich für immer von Heldscalla und Glimmungs Unternehmen fernhalten sollst. Sieh doch: Es versucht, Worte zu formen!«
    Das verfallene Fleisch der unteren Gesichtshälfte zuckte; Joe sah zerbrochene Zähne. Aus der dunklen Höhle, die einst sein Mund gewesen war, drangen Laute. Es hörte sich an wie ein Trommeln, das von weither aus dem Ozean zu kommen schien. Etwas fürchterlich Schweres, das tausend Meilen entfernt zu sein schien. Etwas Gewaltiges, schwer zu Bewegendes. Das Ding machte verzweifelte Anstrengungen. Das Trommeln wurde lauter. Das Ding bewegte sich vor ihm langsam im Wasser. Es hob und senkte sich. Mit unbeschreiblicher Mühe brachte es ein Wort hervor, und noch eins.
    »Bleib!« sagte es. Kleine Fische verschwanden in seiner weit offenstehenden Mundhöhle und sprudelten in einem Schwall von Blasen wieder heraus. »Du … mußt … weitermachen. Vorwärts … hebe … Heldscalla!«
    »Lebst du noch?« fragte Joe.
    »Nichts hier unten lebt im eigentlichen Sinne«, sagte Mali.
    »Es sind nur Restbestände des Lebens. Es ist wie bei einer zerstörten Batterie, die noch teilweise aufgeladen ist.«
    »Aber dieses Ding kann ja noch gar nicht existieren«, sagte Joe. »Es ist ein Ding aus der Zukunft.«
    »Hier unten gibt es keine Zukunft«, sagte Mali.
    »Aber ich bin doch noch nicht tot. Ich lebe. Aber ich stehe diesem schaurigen, verrotteten Ding gegenüber. Wenn dieses Ding meine Leiche ist, kann es doch jetzt nicht mit mir sprechen.«
    »Das wäre logisch«, sagte Mali, »aber es gibt keinen wirklichen Unterschied zwischen euch beiden. Etwas in ihm ist mit dir verschmolzen. Und etwas von dir ist noch in ihm vorhanden. Beide Teile sind Joe Fernwright; oder anders herum: Du bist ihr beide. ›Das Kind ist der Vater des Mannes‹; erinnerst du dich noch daran? Und der Mann ist der Vater der Leiche. Ich dachte, es würde dich bitten, wegzugehen. Statt dessen will er – es –, daß du bleibst. Aus diesem Grunde schwamm es zu dir. Ich verstehe das nicht. Dies kann nicht dein schwarzer Widerpart sein, jedenfalls nicht in dem Sinne, wie ich dir erklärt habe. Es ist schrecklich verfallen, aber es ist wohlwollend. Die schwarzen Doppelgänger sind nie wohlwollend. Darf ich es etwas fragen?«
    Joe sagte nichts. Mali deutete sein Schweigen als Zustimmung.
    »Wie bist du gestorben?« fragte sie die Leiche.
    Der halbentblößte Kieferknochen pendelte in der Strömung hin und her, als er seine deformierten Laute heraustrommelte: »Glimmung ließ uns töten.«
    »Uns?« fragte sie alarmiert. »Wieviele von uns? Alle?«
    »Uns.« Mit dem, was einmal sein Arm war, deutete er auf Joe. »Uns beide.« Dann schwieg er eine Weile. Er trieb ganz langsam wieder davon. »Aber es ist nicht so schlimm«, rief er noch. »Ich habe mir zu meinem Schutz eine Kiste gemacht. Wenn ich da hineinkrieche, verbarrikadiere ich den Eingang, sodaß kaum welche von den wirklich gefährlichen Fischen hineinkommen können.«
    »Soll das heißen, daß du versuchst, dein Leben zu schützen?« fragte Joe. »Dein Leben ist doch vorbei!« Er begriff nichts mehr. Es ergab einfach keinen Sinn; es erschien ihm alles unheimlich und bizarr. Eine verrottete Leiche – seine Leiche – ›lebte‹ hier unten und machte sich Gedanken darüber, wie sie sich vor den Fischen schützen konnte … »Verbessert den Lebensstandard der Toten!« rief er mit wilder Stimme in die Dunkelheit des Meeres.
    »Der Fluch!« sagte Mali.
    »Was?«
    »Er verfolgt dich und läßt dich nicht los. Er konfrontiert dich mit deinem eigenen Ende, und doch gehst du nicht fort. Später, wenn du dieses Ding bist, –« Sie deutete auf die Leiche – »wirst du dich verfluchen und sagen: ›Wäre ich doch nur gegangen! Noch in jener Nacht oder gleich am nächsten Morgen!‹«
    »Bleib!« sagte die Leiche zu Joe. »Warum?«
    »Wenn Heldscalla aus dem Wasser gehoben ist, werde ich schlafen gehen. Ich warte darauf, endlich schlafen gehen zu können! Ich bin froh, daß du endlich gekommen bist. Ich warte seit Jahrhunderten auf dich. Ich bin für ewig verdammt. Erst dein Kommen kann mich erlösen!« Die

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