Joel 1 - Der Hund der unterwegs zu einem Stern war
Jahre bist du alt«, sagt er. »Bald zwölf. Ich hatte das vergessen.« Er rührt in seiner Kaffeetasse.
Ich muß jetzt weitermachen, denkt Joel, jetzt, wo Samuel traurig ist, wo er nicht so aussieht, als ob er böse werden könnte.
»Ich mag Sara nicht«, sagt er. »Warum triffst du dich mit ihr?«
»Sara ist in Ordnung«, antwortet Samuel. »Wenn ich mit ihr zusammen bin, krieg ich gute Laune. Sie lacht sich durchs Leben, obwohl sie so viel erlebt hat, worüber sie weinen müßte.« »Lachen wir nicht?« fragt Joel.
»Du mußt nicht ständig vergleichen«, sagt Samuel.
»Manchmal vermisse ich…«
Samuel bricht mitten im Satz ab.
»Mama Jenny«, sagt Joel.
Samuel nickt. Jetzt ist er so klein, daß er kaum bis zum Tisch hinaufzureichen scheint.
»Natürlich vermisse ich Jenny«, sagt er. »Aber sie ist abgehauen. Ich will sie nicht vermissen. Ich will niemanden vermissen, der mich nicht vermißt.«
»Wie willst du das wissen?« fragt Joel.
Plötzlich wächst Samuel wieder und wird groß. »Sie ist abgehauen«, sagt er. »Sie hat sich aus dem Staub gemacht und dich und mich allein gelassen und alles, was wir geplant haben. Wir wollten ein paar Jahre hier bleiben, solange du klein warst. Als Seemann kriegte ich zu der Zeit keine andere Arbeit. Wir hatten gedacht, es ist schön, gerade hier zu wohnen, wo keiner von uns beiden jemals gewesen war. Nur ein paar Jahre. Dann wollte ich wieder auf einem Schiff anmustern. Und dann haut sie einfach ab.« Plötzlich schlägt Samuel mit der Faust auf den Tisch. »Kein Wort in all diesen Jahren«, sagt er. »Kein einziges Wort. Ich weiß nicht, ob sie noch lebt und was sie macht.«
»Sie hatte die Unruhe«, sagt Joel. »Das hat die alte Westman von unten gesagt.«
»Die Alte«, sagt Samuel. »Was weiß die schon!«
Joel weiß nicht, wie er weiterreden soll. Er möchte über Mama Jenny sprechen, und er möchte über Sara sprechen. Aber er kann nicht gleichzeitig über sie beide reden. Plötzlich steht Samuel auf.
»Ich will heute nichts essen«, sagt er. »Du mußt dir selbst was machen. Ich weiß ja, daß du es kannst. Ich muß raus.«
»Geh nicht zu Sara«, sagt Joel bittend. »Geh nicht zu ihr.«
»Ich geh, zu wem ich will«, sagt Samuel und sieht ihn mit gerunzelten Augenbrauen an.
Joel bemerkt das gefährliche Glitzern in seinen Augen. »Joel«, sagt Samuel, »jemand hat einen Stein durch Saras Fenster geworfen. Das bist du doch nicht gewesen?« Doch, denkt er. Das war ich. Joel Gustafson hat den Stein geworfen. Joel Gustafson hat die Leiter herangeschleppt, Joel Gustafson hat durch das Fenster geguckt und Samuel Gustafson nackt auf Saras Bett sitzen sehen. Er hat gesehen, wie er ihr seine Narbe zeigt. Ich bin das gewesen, Joel Gustafson, der den Stein geworfen hat und der gehofft hat, er würde Sara am Kopf treffen. Damit sie eine dicke Beule kriegt und keine roten Hüte mehr tragen kann. Das denkt er. Aber er sagt etwas anderes. »Nein«, sagt er. »Ich hab keinen Stein geworfen.« Jetzt darf ich seinem Blick nicht ausweichen, denkt Joel. Wenn ich das tue, dann weiß er, daß ich es war. Er sieht Samuel an und versucht, an etwas anderes zu denken. Der Hund, der unterwegs zu einem Stern ist. An den kann er denken.
»Ich frag ja bloß«, sagt Samuel. »Aber es ist mitten in der Nacht passiert, deswegen kannst du es ja kaum gewesen sein. Wenn du nicht wieder angefangen hast, im Schlaf spazierenzugehen.« »Das tu ich nicht«, sagt Joel.
Samuel zieht die Stiefel an. Dann die Lederjacke und die Pelzmütze, immer in derselben Reihenfolge. »Komm mit«, sagt er plötzlich. »Komm mit zu Sara. Sie macht dir bestimmt was zu essen.«
Mit zu Sara gehen? Joel starrt Samuel an. Meint er das im Ernst?
»Komm«, sagt Samuel, »wir gehen zusammen hin.« Joel ist froh, so froh, daß er jubeln könnte. Aber wieso kann er sich freuen, wenn er am allerwenigsten Sara treffen möchte? Er versteht es selbst nicht. Als Samuel ihn bittet mitzukommen, ist das, als ob er wieder Papa Samuel wird. Es ist ein Gefühl, wie wenn man seine kalten Füße in eine Wanne mit warmem Wasser taucht. Der ganze Körper wird durchströmt von Wärme. »Kommst du nun oder nicht?« fragt Papa Samuel. Joel nickt. Er kommt… Und während sie in der Winterdunkelheit durch die Straßen gehen, denkt Joel daran, wie merkwürdig es ist, daß ausgerechnet heute jemand im Wald umgekommen ist. Der Tag, an dem er sich mit Absicht verlaufen und in einem Schneehaufen erfrieren wollte.
Er geht dicht neben
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