Joel 2 - Die Schatten wachsen in der Daemmerung
versuchten Simon zu überreden, in ein Altersheim zu ziehen. Sie kamen immer zu mehreren, weil sie sich vor Simon fürchteten. Es konnte passieren, daß er furchtbar böse wurde. Einmal hatte er einer Dame mit einem flachen Hut ein Huhn an den Kopf geworfen. Das hatte ein mächtiges Gegacker im Haus gegeben, und das Ganze endete damit, daß Simon seine Ruhe hatte. Aber nur eine Weile. Bald kamen sie wieder. Joel wußte nicht genau, ob die Flachhüte ein Recht hatten, darüber zu bestimmen, wo Simon wohnte. Aber daß sie einem feindlichen Stamm angehörten, daran zweifelte er nicht.
Vor den Flachhüten mußte man sich in acht nehmen.
Während Joel unter den hohen Tannen voranschritt und den Weg im Auge behielt, dachte er daran, daß er einen richtigen Freund finden mußte. Er konnte nicht dauernd mit Erwachsenen zusammen sein, die außerdem nicht ganz normal waren.
Das hieß nicht, daß er Gertrud und Simon im Stich lassen wollte. Er wollte nur einen Freund haben, der genauso alt wie er selber war.
Plötzlich lichteten sich die Tannen. Da lag Simons Hütte, mitten in einem Garten voller Schrott und alter Maschinen. Dort stand auch der alte Laster, mit dem Simon herumfuhr, wenn er nachts nicht schlafen konnte. Aus dem Schornstein stieg Rauch, und auf der Vortreppe trippelte ein Huhn herum und pickte.
Joel blieb stehen und betrachtete Simons Schweinestall. Es war ein altes umgebautes Taxi. Dort, wo einmal die Frontscheibe gewesen war, ragte ein kleiner rosa Schweinerüssel heraus.
Joel klopfte an die Tür und ging hinein. Es dauerte immer eine Weile, ehe er sich an den Geruch in Simons Haus gewöhnt hatte. Das war kein angenehmer Geruch. Joel mußte durch den Mund atmen, damit ihm nicht schlecht wurde.
Er wußte, daß Simon sich nicht allzuoft wusch. Und dann waren da noch die Hühner, die drinnen herumliefen. Und der Lappenhund, der am Herd lag und an Knochen nagte.
Simon saß an seinem großen Tisch und las in einem Buch, als Joel hereinkam. Das machte er immer. Er las mit einem Stift in der Hand, und wenn ihm etwas nicht gefiel, schrieb er es um. Überall im Haus lagen Stapel von Büchern. Die Hühner legten Eier zwischen die Bücher, und manchmal half Joel Simon, die Eier zu suchen.
Simon trug einen dicken Pelz. Den trug er Winter und Sommer. Er hatte einen struppigen Bart, der nach allen Seiten abstand, genau wie die Haare.
Als Joel den Raum betrat, änderte Simon gerade das Ende eines Buches. Joel wußte, daß er nicht gestört werden wollte, wenn er schrieb. Er strich die gedruckten Worte durch und schrieb etwas zwischen die Zeilen. Joel kauerte sich hin und streichelte den Lappenhund, während Simon schrieb. Schließlich warf er den Stift von sich, sah Joel an und lächelte.
»Jetzt ist es besser«, sagte er, »jetzt endet das Buch, wie es enden muß.«
»Darf man Bücher denn einfach so ändern?« fragte Joel.
»Mir doch egal«, antwortete Simon und kratzte sich am Bart. »Ich tu es einfach.«
Joel setzte sich auf einen Hocker am Tisch. Simon sah ihn aus halbgeschlossenen Augen an. Vielleicht hatte er noch nichts von dem Unfall gehört? Simon redete mit keinem anderen Menschen, nur mit Joel.
Wahrscheinlich war Simon der einzige im Ort, der noch nichts von dem Unfall gehört hatte.
Joel erzählte, was passiert war. Simon runzelte die Stirn und hörte zu. Vorsichtig zog Joel sich noch weiter zurück auf dem Hocker, weil Simon heute ganz besonders unangenehm roch.
Vielleicht wäre das eine gute Tat? dachte er flüchtig. Dafür zu sorgen, daß Simon ein Bad nahm?
Aber er schob den Gedanken beiseite. Es war nicht ganz ungefährlich, das vorzuschlagen. Vielleicht würde Simon mit Hühnern um sich werfen.
»Ich brauch eine gute Tat«, sagte Joel. »Wenn man ein Mirakel erlebt hat, muß man eine gute Tat tun.« »Das muß man wohl«, sagte Simon langsam. »Schreckliche Sache, die du mir da erzählt hast!«
»Mir tut nichts weh«, sagte Joel. »Ich hab mir nicht mal in die Zunge gebissen.«
Plötzlich bemerkte er, daß Simon Tränen in den Augen hatte. Das war noch nie passiert. Sofort hatte Joel selbst einen Kloß im Hals.
»Schrecklich«, murmelte Simon, »schrecklich, schrecklich.«
»Ich bin wahrscheinlich selbst schuld«, sagte Joel. »Ich hab nicht aufgepaßt.«
Ein Huhn flatterte auf den Tisch und ließ einen großen Klacks mitten in das Buch fallen, in dem Simon eben geschrieben hatte. Joel mußte kichern.
Simon wischte sich die Tränen aus den Augen und lächelte auch.
»Jetzt hat es
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