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Joel 2 - Die Schatten wachsen in der Daemmerung

Joel 2 - Die Schatten wachsen in der Daemmerung

Titel: Joel 2 - Die Schatten wachsen in der Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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einen Stempel unter das Ganze gesetzt«, sagte er.
    »Eine gute Tat«, sagte Joel und kicherte immer noch. »Wie findet man eine gute Tat ?«
    »Wir müssen nachdenken«, sagte Simon. »Am besten, wir setzen unsere Brillen auf.«
    Die hatte Joel ganz vergessen. Simons Nachdenkbrillen. Sie sahen aus wie gewöhnliche Brillen. Der Unterschied bestand nur darin, daß die Gläser schwarz gemalt waren. Wenn man die Brille trug, konnte man nichts sehen. Simon erhob sich und sah sich um.
    »Möchte mal wissen, wo ich sie hingelegt habe«, murmelte er. Dann sah er Joel an. »Wohin legt man seine Brille?« fragte er.
    »In ein Regal«, schlug Joel vor. Er dachte daran, wohin Papa Samuel seine Brille legte.
    Simon nickte.
    »Ein Regal«, sagte er. »Wo gibt es Regale?«
    Joel sah sich um. Im Zimmer gab es keine Regale. »In der Vorratskammer«, sagte er. »Da gibt es Regale.« »Genau«, sagte Simon. »In der Vorratskammer gibt's Regale.«
    Er verschwand im Vorratsraum. Joel hörte ihn mit Wannen und Töpfen klappern. Leere Flaschen klirrten, Tüten raschelten. Dann ertönte ein triumphierender Ausruf, und Simon kam mit zwei Brillen zurück.
    »Jetzt wollen wir nachdenken«, sagte er. »Hilft das nichts, müssen wir mit der Staatskutsche raus zum See der Vier Winde fahren.«
    Die Staatskutsche war der alte Laster. Simon hatte erzählt, daß er das Auto nach dem feinsten Gefährt des Königs getauft hatte.
    Sie setzten die Brillen auf. Es waren alte Motorradbrillen, die an den Seiten dicht schlossen. Alles war schwarz, ob wohl man die Augen nicht schloß.
    »Jetzt wollen wir denken«, sagte Simon.
    Es war still. Der Lappenhund schnüffelte unter dem Tisch. In einer Ecke pickte ein Huhn.
    Joel versuchte sich zu konzentrieren, damit ihm eine gute Tat einfiel. Aber er mußte sich sehr zusammenreißen, damit er nicht wieder anfing zu kichern.
    Irgend etwas hatte sich in der letzten Zeit verändert. Wenn etwas ernst war, kriegte er wahnsinnige Lust zu kichern. Es war, als ob ihn eine unsichtbare Hand unter den Füßen kitzelte.
    Wenn er nur daran dachte, fing er schon an zu kichern. Ich darf nicht kichern, dachte er wütend.
    Da fing er erst recht an zu kichern. Es war, als ob es in seinem Mund brodelte, als ob er förmlich überlief von all dem Kichern, das in ihm war.
    Jetzt wird Simon böse, dachte er.
    Aber Simon wurde nicht böse. Joel hatte ein Gefühl, als ob Simon zu den seltenen Erwachsenen zählte, die nicht vergessen hatten, wie es war, wenn man bald zwölf wurde. Einige wenige Erwachsene gab es, die hatten es nicht vergessen.
    Papa Samuel hatte es vergessen, aber Gertrud nicht. Frau Nederström hatte es vergessen, aber Simon Urväder nicht.
    »Es geht nicht«, sagte Simon. »Wir können die Brille wieder abnehmen.«
    Joel löste das Band im Nacken.
    »Wir müssen rausfahren zum See der Vier Winde«, sagte Simon.
    Normalerweise hätte Joel gejubelt, wenn er mit Simon zu dem geheimnisvollen See tief drinnen im großen Wald fahren durfte. Er saß gern auf dem Beifahrersitz neben Simon.
    Heute jedoch nicht.
    Heute sperrte sich etwas dagegen.
    Es war, als ob Joel Angst vor großen Autos hätte. Wenn er im Laster saß, konnte er kaum überfahren werden.
    Aber vielleicht fuhren sie jemand anders an?
    Nein, heute wollte er nicht mit dem Laster fahren. »Ich hab keine
Zeit«,
murmelte er. »Ich bin mit Papa verabredet. «
    Simon nickte. »Schade, daß ich dir nicht helfen kann«, sagte er. »Aber vielleicht müssen einem die guten Taten selbst einfallen.«
    Joel ging. Es hatte aufgehört zu regnen. Zerfetzte Wolken jagten einander über den Himmel.
    Er verlief sich im Labyrinth der Pfade und kam zu Simons Haus zurück.
    Wütend ging er von vorn los. Diesmal erwischte er den richtigen Weg, die Tannen lichteten sich, und er war wieder an der Landstraße.
    Plötzlich hatte er genug von all den Gedanken an gute Taten. Er wünschte, er könnte sie wegscheuchen, so wie man einen Mückenschwarm verscheucht, indem man um sich schlägt.
    Wäre der verdammte Eklund nicht so rücksichtslos gefahren, dachte er, dann wäre mir dieses Mirakel erspart geblieben.
    Ich hab keine Zeit für gute Taten, dachte Joel. Ich muß einen richtigen Freund suchen. Und ich will ein besserer Fußballspieler werden.
    Ich hab keine Zeit.
    Er trabte nach Hause und kickte im Gehen Steine vor sich her, daß ihm die Zehen weh taten.
    Joel bemitleidete sich selbst.
    Er hatte keine Mama. Außerdem hatte er keinen richtigen Freund. Er hatte nur Simon Urväder, und der

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