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Joel 2 - Die Schatten wachsen in der Daemmerung

Joel 2 - Die Schatten wachsen in der Daemmerung

Titel: Joel 2 - Die Schatten wachsen in der Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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roch schlecht, und Gertrud, die keine Nase hatte.
    Es fehlte so viel.
    Ich bin wie Gertrud, dachte er. Sie hat keine Nase, und ich hab keine Mutter… Plötzlich blieb er mitten auf dem Weg stehen.
    Vielleicht hatte er jetzt doch eine Idee, wie er seine gute Tat ausführen wollte.
    Eine neue Nase konnte er Gertrud nicht verschaffen. Aber natürlich brauchte sie einen Mann!
    Sie war dreißig Jahre alt und unverheiratet. Sie hatte keine Kinder.
    Dazu konnte er ihr vielleicht verhelfen!
    Jetzt wußte er es!
    Seine gute Tat sollte darin bestehen, daß er einen Mann für Gertrud suchte. Damit sie abends nicht mehr allein war. Einen, den sie heiraten konnte.
    Aber wo fand er diesen Mann?
    Er brauchte nicht lange nachzudenken, da fiel ihm die Antwort ein.
    Die Bierstube! Wo Sara arbeitete! Dort saßen den ganzen Tag lang Männer und tranken Pilsner. Joel hatte selbst gehört, wie Sara sich bei Samuel beklagte, daß es so viele unverheiratete Männer gab, die ihre ganze Freizeit mit Biertrinken verbrachten.
    Plötzlich hatte er es eilig. Er lief den Hügel hinunter, der zur Ortsmitte führte. Dort war das Farbengeschäft und dort der Schuhladen. Und an der Ecke war die Bierstube.
    Er war so schnell gerannt, daß er stehenbleiben mußte, um nach Luft zu schnappen.
    Plötzlich bemerkte er, daß er genau an der Stelle stand, wo er ohne aufzupassen über die Straße gelaufen war.
    Genau an derselben Stelle, wo der Unfall in ein Mirakel verwandelt worden war.
    Das muß bedeuten, daß es richtig ist, dachte er. Daß ich meine gute Tat an derselben Stelle beginne. Die Tür zur Bierstube flog auf, und Rausschmeißer Nyberg kam auf die Treppe hinaus, um sich mit den Fingern zu schneuzen. Joel verzog sich rasch hinter ein parkendes Auto. Er wollte nicht, daß Nyberg ihn entdeckte und Fragen stellte.
    Nyberg räusperte sich und spuckte auf den Gehweg. Dann ging er wieder hinein. Joel sah genau nach beiden Seiten, ehe er die Straße überquerte. Es gab einen Hintereingang zur Bierstube, den er benutzen durfte, wenn er Sara besuchen wollte. Einen Moment zögerte er.
    Dann öffnete er die Tür und ging hinein, um einen Mann für Gertrud zu suchen.

5
    Es konnte passieren, daß Joel eine Tasse oder einen Teller beim Abwaschen zerschlug. Aber das war gar nichts gegen das, was Ludde zerschlug.
    Ihm gehörte die Bierstube. Er ging aber nicht von Tisch zu Tisch und sprach mit den Gästen, er stand in der Küche über die Abwaschwannen gebeugt. Ein kleiner, dicker Mann mit Händen, die rot und geschwollen vom Abwaschwasser waren.
    Am Hintereingang, der in die Küche führte, hing ein Schild mit der Aufschrift »Zutritt für Unbefugte verboten«. Aber das galt nicht für Joel, da Sara in der Bierstube arbeitete. Er benutzte die Tür nur selten.
    In der Küche klapperte und klirrte es laut, und es war so unaufgeräumt. Außerdem mochte er es nicht, daß Sara und die anderen Kellnerinnen ihm über die Haare streichelten. Ihn fast so behandelten, als sei er Saras Sohn. Ihm gefiel es nicht, ein Fast-Sohn zu sein. Und obwohl Sara nett war und Papa Samuel gute Laune kriegte, wenn er mit ihr zusammen war, weigerte sich Joel, so zu tun, als ob Sara seine Mama wäre. Seine Mama hieß Jenny und würde immer Jenny heißen. Auch wenn er sie in seinem ganzen Leben nicht zu Gesicht bekäme, würde er nie eine andere Mama haben.
    Manchmal ging er also durch die verbotene Tür. Und jetzt hatte er etwas Wichtiges zu erledigen. Er mußte einen Mann für Gertrud finden.
    Als er die Küche betrat, war es noch lauter als sonst. Ludde stand über die Abwaschwannen gebeugt und spülte wie ein Verrückter. In dem schäumenden Spülwasser klapperten und klirrten Gläser und Tassen, Teller und Bestecke.
    In der Hauptsache waren es Gläser, weil es ja eine Bierstube war, und alle tranken Pilsner. Aber manchmal bekamen die Männer Hunger und wollten etwas zu essen haben. Ludde kümmerte sich gleichzeitig um den Herd und den Abwasch. In der Bierstube gab es nur ein einziges Gericht, und das wurde »Luddes Gulasch« genannt. Sara hatte Joel erzählt, daß Ludde seine Bierstube schon seit zwanzig Jahren besaß. In all diesen Jahren servierte er immer das gleiche Gulasch. Joel hatte den großen Topf, der auf dem Herd stand, betrachtet und überlegt, daß er schon seit zwanzig Jahren in ihm kochte. Hin und wieder kippte Ludde neue Fleischbrocken hinein und rührte die dicke braune Soße um. Aber eigentlich war es das gleiche Essen, das seit zwanzig Jahren auf dem Herd stand.

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