Joel 2 - Die Schatten wachsen in der Daemmerung
er. Samuel ließ die Zeitung sinken und sah ihn erstaunt an. »Warum fragst du das ?« »Ich frag bloß.«
»Da mußt du wohl noch ein paar Jahre warten«, antwortete Samuel und las weiter in der Zeitung. »Sei froh, du. Dann brauchst du dich noch nicht zu rasieren.« »Ich laß den Bart wachsen«, sagte Joel. »Ich werd mich nie rasieren.«
Er ging wieder in sein Zimmer. Da war nichts zu machen. Sein großer Plan hatte sich zerschlagen…
Nicht mal General Custer konnte ihm helfen. Wenn er vor dem strengen General stand und erklären sollte, wie er den Brief mit der wichtigen Botschaft verloren hatte, hatte er nichts zu sagen.
Der General verkündete das Urteil auf der Stelle. In der Dämmerung, wenn die ersten Strahlen der Sonne die Prärie rot färbten, sollte Joel erschossen werden… Und das alles kam nur daher, weil er nicht aufgepaßt hatte, als er über die Straße vor der Bierstube lief. Wäre Eklund nur zehn Sekunden eher oder zehn Sekunden später gekommen, wäre nichts passiert.
Früher hatte Joel immer geglaubt, die Tage würden dadurch aufregend, daß etwas Unerwartetes passierte. Jetzt war er nicht mehr so sicher. Manche Ereignisse müßte man erfahren, bevor sie eintraten. Man müßte auch die Möglichkeit haben, das Eintreten gewisser Sachen zu verbieten.
Er überlegte eine Weile, ob er ein Gebet sprechen sollte. Nicht, daß er glaubte, es würde helfen. Aber ein Versuch schadete ja nicht. Vielleicht hatten Mirakelmenschen Rechte, die andere Menschen nicht hatten?
Er faltete die Hände und murmelte ein Gebet, so schnell er konnte.
»Lieber Gott, laß den Käsemann Samstag zum Vogelbad kommen. Amen.«
Hinterher bereute er es sofort.
Vielleicht mochte Gott Menschen nicht, die nicht richtig an ihn glaubten und trotzdem beteten. Vielleicht war das so was ähnliches, wie wenn man mit falschen Karten spielte?
Er konnte nichts mehr tun. Er ging zu Papa Samuel, der die Socken ausgezogen hatte und seine Zehennägel schnitt. »Fluchst du immer noch?« fragte Samuel.
»Nein«, antwortete Joel, »aber ich möchte mir was zum zwölften Geburtstag wünschen.«
»Wirst du wirklich zwölf?« fragte Samuel. »Himmel, wie die Zeit vergeht!«
»Darf ich?«
»Wünsch dir, was du möchtest. Wenn es nur nicht zu teuer ist.« »Es kostet nichts«, sagte Joel.
»Das ist gut«, sagte Samuel. »Was wünschst du dir?« »Ich möchte, daß wir hier wegziehen«, sagte Joel. »Jetzt.« Samuel hörte mit dem Nägelschneiden auf und sah ihn lange an.
»Ans Meer«, fuhr Joel fort. »Ich möchte, daß du wieder Seemann wirst und mich mitnimmst. Ich möchte, daß wir jetzt wegziehen.«
»Nicht, bevor du mit der Schule fertig bist«, sagte Samuel. »Dann erst, vielleicht. Aber eher nicht.«
»Ich hab genug gelernt«, sagte Joel. »Ich will, daß wir jetzt wegziehen.«
Samuel sah ihn forschend an. »Ist was passiert, daß du unbedingt jetzt weg willst?«
Fast hätte Joel alles erzählt, was passiert war. Aber etwas in ihm sperrte sich dagegen. Er hatte keine Lust zuzugeben, was für eine gedankenlose, verrostete Blechdose er eigentlich war. Vielleicht würde Samuel sagen, daß er so einen Hohlkopf nicht mit auf See nehmen konnte. Das Risiko wollte Joel nicht eingehen.
»Nichts ist passiert«, sagte er. »Hier passiert doch nie was anderes, außer daß ich vom Ljusdalbus überfahren werde.«
»Darüber macht mal keine Witze«, sagte Samuel. Seine Stimme klang plötzlich genauso scharf wie die von Frau Nederström.
Diese Stimme mochte Joel nicht. Sie machte ihm angst. »Es ist nichts«, sagte er. » Klar warten wir mit dem Umzug, bis ich mit der Schule fertig bin.«
»Genau«, sagte Samuel, »und dann werden wir sehen.«
Jetzt war seine Stimme wie immer. Ein bißchen rauh und heiser. Genau, wie Joel es gewohnt war.
Joel zog sich aus und kroch ins Bett.
Damit er nicht an den Käsemann und den Brief denken mußte, beschloß er, sich eine Geschichte auszudenken. Er suchte in seinem Kopf nach Geschichten, die er sich schon früher ausgedacht hatte, ohne zu einem Ende zu kommen.
Da gab es eine, die handelte davon, wie er nach einem geheimen Baum tief drinnen im Wald, irgendwo in der Nähe vom See der Vier Winde, suchte. Zu Füßen des Baumes lag eine Karte vergraben. Fand er sie, konnte er zur Vergessenen Insel segeln. Eine große Insel, die irgendwo im Indischen Ozean lag. Eine Insel, die nur der fand, der die Karte besaß.
Das war eine gute Geschichte. Die konnte viele verschiedene Schlüsse haben.
Nachdem
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