Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Joel 2 - Die Schatten wachsen in der Daemmerung

Joel 2 - Die Schatten wachsen in der Daemmerung

Titel: Joel 2 - Die Schatten wachsen in der Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
Vom Netzwerk:
war ungefährlich, fand Joel. Er ging ja doch nie in die Bibliothek.
    »Wenn dein Papa Liebesbriefe schreiben will, dann schafft er es auch allein«, sagte Frau Arvidson. »Liebesgedichte haben wir. Aber keine Liebesbriefe.«
    »Vielleicht gehen die auch«, sagte Joel.
    Frau Arvidson sah ihn einen Augenblick an. Dann ging sie zu einem Regal und kam mit zwei dünnen Büchern zurück.
    »Das hier sind schöne Liebesgedichte«, sagte sie und begann zu stempeln. »Aber nächstesmal muß dein Papa selber kommen, wenn er Bücher haben will.«
    Joel fuhr nach Hause und setzte die Kartoffeln auf. Dann fing er an, in den dünnen Büchern zu lesen. Meistens ging es um Rosen und Dornen. Tränen und verzweifelte Sehnsucht. Besonders das Wort Sehnsucht kam häufig vor.
    Wenn er und Papa Samuel gegessen hatten, würde er die Briefe schreiben. Einen Brief von Gertrud an den Käsemann. Einen vom Käsemann an Gertrud.
    Er hatte sich ein paar Bogen Briefpapier und Umschläge aus Samuels Zimmer genommen.
    Der große Plan war fertig…
    Aber als er nach dem Essen auf seinem Bett saß, das Briefpapier auf einem Seekartenbuch als Schreibunterlage, da war es gar nicht so einfach.
    Wo sollten sie ihr geheimes Treffen verabreden? Im ganzen Ort gab es keine Statue. Es gab kaum einen Park. Außerdem mußte es eine Stelle sein, wo Joel sich in der Nähe verstecken konnte, damit er hörte, was sie miteinander redeten.
    In Gedanken wanderte er durch den ganzen Ort. Hin und wieder blieb er stehen, ehe er weiterging. Nichts war wirklich gut. Der Friedhof war abends zu gespenstisch.
    Auf dem Fußballplatz gab es keine Beleuchtung. Dort würden sie einander nicht einmal finden.
    Schließlich, als er schon aufgeben wollte, fiel ihm die Lösung ein: Pferdehändler Unders Garten.
    Der war groß und lauschig, und der Pferdehändler hatte nichts dagegen, wenn auch andere Leute darin spazieren gingen. Dort gab es ein kleines Vogelbad, das am ehesten einer Statue gleichkam.
    Pferdehändler Under war außerdem nicht zu Hause. Im Herbst reiste er immer nach Süden, um Pferde zu kaufen.
    Joel konnte sich hinterm Holzschuppen verstecken. Von dort waren es nur wenige Meter bis zum Vogelbad.
    Das war der Platz! Samstagabend um acht.
    Dann schrieb er die beiden Briefe. Gertruds Brief schrieb er mit der rechten Hand, den Brief vom Käsemann mit der linken, damit sich die Schrift unterschied. Mit links zu schreiben war am schwersten. Die Buchstaben neigten sich nach allen Seiten, und er kriegte einen Krampf in den Fingern. Aber endlich waren die Briefe fertig.
    Er las noch einmal durch, was er geschrieben hatte. Zuerst Gertruds Brief.
    »Warte Samstagabend um acht im Garten des Pferdehändlers beim Vogelbad auf mich. Dornen der Verzweiflung, falls Du nicht dort bist. Eine heimliche Bewunderin.«
Wegen dieser »Dornen der Verzweiflung« war Joel unsicher. Er hatte die Wörter aus einem der Gedichte ausgesucht. Aber was bedeuteten sie eigentlich? Er hatte sie gewählt, weil eine Frau die Gedichte geschrieben hatte.
    Der Brief vom Käsemann war länger. Joel stellte sich vor, daß Männer längere Briefe schrieben als Frauen. Aber vielleicht war es auch umgekehrt ?
    »Geliebtes Herz, warte am Vogelbad auf mich, Samstagabend um acht. Ich warte auf Dich nach tausend Jahren Sehnsucht. Ich küsse Deine Tränen. Muß ich verzweifeln? Ein heimlicher Bewunderer.«
    Joel faltete die Briefe zusammen und klebte die Umschläge zu.
    In dem Augenblick kam Samuel ins Zimmer. »Schreibst du Briefe?« fragte er.
    »Ich hab Kataloge bestellt«, antwortete Joel schnell. »Es ist lange her, daß ich Briefe geschrieben habe«, sagte Samuel. Seine Stimme klang traurig, fand Joel.
    »Du kannst mir ja mal schreiben«, sagte er. »Ich versprech dir, ich antworte auch.«
    Samuel lächelte.
    »Es ist spät«, sagte er. »Leg dich schlafen, damit du morgen aus dem Bett kommst.«
    Eigentlich hatte Joel noch an diesem Abend losfahren und die Briefe in Gertruds Briefkasten und den vom Käsemann stecken wollen. Aber er war zu müde. Das mußte warten bis zum nächsten Tag.
    Der Abend am nächsten Tag war kalt. Die Kälte knisterte unter den Gummireifen, als Joel losfuhr. Er stellte das Fahrrad am Bahnhof ab und lief über die Brücke zu Gertruds Haus. Vor dem Gartentor blieb er stehen. Ihr Schatten zeichnete sich gegen die Vorhänge ab.
    Jetzt tu ich meine gute Tat, dachte Joel und steckte den Brief in ihren Briefkasten.
    Vor Taxi-Lasses Hof war es ganz still. Joel hatte das Fahrrad in einer

Weitere Kostenlose Bücher