Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Joel 2 - Die Schatten wachsen in der Daemmerung

Joel 2 - Die Schatten wachsen in der Daemmerung

Titel: Joel 2 - Die Schatten wachsen in der Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
Vom Netzwerk:
Seitengasse gelassen und schlich sich vorsichtig im Schatten an. Jetzt war er wieder General Custers Botschafter, der mit einem Brief, der Leben oder Tod bedeutete, durch Feindesland schlich.
    Am Zaun hingen zwei Briefkästen. Er beugte sich vor und entzifferte die Namen, obwohl die Straßenlaterne weit entfernt war.
    Dann warf er den Brief ein.
    Endlich war es erledigt!
    Samstagabend würde die gute Tat vollbracht sein. Dann konnte er sich auf sein Geographiespiel konzentrieren. Ein besserer Fußballspieler werden und sich einen richtigen Freund suchen.
    Er fuhr nach Hause. Der Ort war verlassen. Am Hotel fuhr ein Auto vorbei.
    Joel stellte sein Fahrrad im Schuppen ab.
    Da fiel ihm ein, was er getan hatte.
    Er hatte nicht David Lundberg auf den Umschlag geschrieben.
    Er hatte Käsemann geschrieben.
    »An den Käsemann von einer heimlichen Bewunderin.« David konnte nicht wissen, daß er der Käsemann war. Und wahrscheinlich würde es ihm nicht gefallen, mit Käse verglichen zu werden.
    Teufel, dachte Joel. Ich bin ein Idiot, ein Idiot, ein Idiot!
    Alles kaputt.
    Er setzte sich auf die kalte Außentreppe.
    Wie hatte er nur
Käsemann
auf den Umschlag schreiben können?
    Wie konnte ein Mensch so blöd sein!

8
    An dem Abend erkannte Joel, daß keine Wut größer ist als die, die man gegen sich selbst richtet.
    So böse auf sich selbst wie jetzt war er noch nie in seinem Leben gewesen. Selbst Papa Samuel wunderte sich über ihn.
    »Was murmelst du da dauernd vor dich hin?« fragte er.
    »Ich fluche«, antwortete Joel.
    Papa sah ihn erstaunt an. »Warum?«
    »Warum nicht«, antwortete Joel.
    »Man hat doch einen Grund, wenn man flucht«, sagte Samuel. »Ich fluche, wenn ich im Wald stolpere. Oder mit dem Fuß umknicke. Oder mir auf den Daumen haue.« »Ich hab mir den Kopf gestoßen«, sagte Joel. Sofort sah Papa Samuel besorgt aus.
    »Bist du mit dem Fahrrad umgefallen?« fragte er. »Ich hab mir innen drin den Kopf gestoßen«, sagte Joel. Dann ging er in sein Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu.
    Papa Samuel begriff, daß er Joel am besten in Ruhe ließ. Er setzte sich wieder in seinen Sessel und las weiter die Zeitung.
    Joel nahm Rache an sich selbst, indem er alle Bonbons aufaß, die noch übrig waren. Alle zweiundsiebzig. Kriegte er jetzt Bauchschmerzen, dann war es genau die richtige Strafe, weil er Käsemann auf den Brief an David geschrieben hatte.
    Gedankenlosigkeit nannte man so was. Das hatte er bei Frau Nederström gelernt. Wenn man etwas Dummes machte, war man gedankenlos.
    Das war ein gutes Wort. Leere im Kopf, bedeutete es. Der Schädel war nichts weiter als eine Blechdose, in der zufällig ein Paar blaue Augen, eine Nase und ein Mund saßen. Und zottliges Haar obendrauf. Eine verrostete Blechdose, die Joel Gustafson hieß. Eine verrostete, gedankenlose Blechbüchse …
    Natürlich würde David Samstagabend nicht zum Vogelbad kommen. Er würde den Brief zwanzigmal lesen, ohne irgend etwas zu begreifen. Dann würde er ihn zerreißen und in den Papierkorb werfen. Schlimmstenfalls würde er anfangen nachzudenken. Natürlich hatte ihm der Barfußmann vom Besuch des seltsamen kleinen Bruders in der Unterwelt erzählt. Er würde sofort kapieren, daß es ein Betrüger gewesen war. Und dann würde er anfangen, auf den Straßen nach ihm zu suchen…
    Joel erkannte, daß er sein Aussehen ändern mußte. Sich als ein anderer verkleiden. Aber was sollte er antworten, wenn Frau Nederström ihn fragte, warum er sich so verändert hatte. Was würde Samuel sagen? Und die Klassenkameraden?
    Und Otto! Otto würde sich bestimmt so manches zusammenreimen. Niemand konnte so schnüffeln wie Otto. Er würde beim Käsemann petzen. Joel würde gefangengenommen und in den Rachen des Raubtiers geworfen werden. Er würde ein Menschenopfer im Maul vom Herrscher des Feuers werden…
    Joel ging in die Küche und versuchte, sein Aussehen vor dem gesprungenen Rasierspiegel zu verändern. Er machte das Haar naß und zog sich einen Scheitel. Aber das Haar stand ihm zu Berge, wieviel Wasser er auch daraufspritzte. Das Wasser lief ihm in den Hemdkragen, und auf dem Fußboden bildeten sich kleine Pfützen. Er setzte Papa Samuels Reservebrille auf, die in einem Regal lag. Was er auch tat, sie rutschte ihm auf die Nase, sobald er sich bewegte.
    Man müßte wechseln können, dachte er. Einen Tag lang Joel sein. Am nächsten Tag Joella.
    Er ging zu Samuels Zimmer und blieb in der Tür stehen. »Wann fängt der Bart an zu wachsen?« fragte

Weitere Kostenlose Bücher