Joel 3 - Der Junge der im Schnee schlief
die im Haus wohnten. Aber bei dem Namen im zweiten Stock links war eine Lücke. Und dort war Licht angemacht worden. Hatte sie keinen Namen? Oder war er geheim? Joel beschloss, dass es daran liegen musste, weil sie neu eingezogen war. Wenn es einen Hausmeister gab, dann hatte er es wohl noch nicht geschafft, den neuen Namen einzusetzen. Unten an der Tafel waren verschiedene Buchstaben aufgereiht. Joel fühlte sich versucht, selbst einen Namen anzubringen :
Salome.
Aber er tat es nicht. Er ging die Treppe hinauf. Damit niemand glaubte, er schliche hier herum, trat er ordentlich fest auf mit seinen Stiefeln. Als er den zweiten Stock erreichte, sah er einen Zettel mit einem Namen an der Tür linker Hand. Er blieb stehen, um den Namen zu lesen.
Mattsson
stand da in roten Buchstaben.
Es stand noch etwas da. Mit kleinen Buchstaben am unteren Rand. Das Licht im Treppenhaus war schlecht. Dann sah er, dass es »Ehnströms Lebensmittelhandlung« hieß. Im selben Augenblick wurde die Tür geöffnet. Joel zuckte zusammen und machte einen Schritt rückwärts. Ohne dass er es gemerkt hatte, war der Schnürsenkel des rechten Stiefels aufgegangen. Irgendwie stolperte er und landete auf dem Fußboden.
Vor ihm stand sie. Aber sie trug keine durchsichtigen Schleier, sondern eine karierte Kittelschürze. Und sie hatte einen Besen in der Hand.
»Ich dachte, du würdest erst morgen kommen«, sagte sie erstaunt.
Mitten in seiner Verwirrung dachte Joel, dass er Recht gehabt hatte. Sie sprach tatsächlich Stockholmer Dialekt. Er stand auf. Mist, was mach ich jetzt, dachte er. So hab ich das nicht geplant.
»Ich hab Donnerstag gesagt«, fuhr sie fort. »Heute ist doch erst Mittwoch.«
Verwirrt versuchte Joel dahinter zu kommen, was sie meinte. Hätte er morgen kommen sollen?
Plötzlich lachte sie. Joel starrte auf ihre roten Lippen und die weißen Zähne.
»Warum guckst du so ängstlich? Und wo ist der Katalog mit den Weihnachtszeitschriften?«
Manchmal, besonders in schwierigen Situationen, konnte Joel plötzlich sehr schnell denken. Er staunte richtig über sich selbst. Aber jetzt begriff er, dass sie ihn für jemand anders hielt. Jemand, der morgen kommen und ihr den Katalog mit den Weihnachtszeitschriften zeigen sollte.
»Ich muss mich im Tag geirrt haben«, sagte Joel.
»Aber wo hast du den Katalog?«
»Der liegt da unten.«
Jetzt hatte er sich ganz schön reingeritten. Wenn sie ihn nun einmal bat den Katalog zu holen! Was sollte er dann tun? »Hat Ehnström dir nicht erzählt, wie ich heiße?« »Ich hab den Namen vergessen«, murmelte er.
Sie sah ihn mit gerunzelten Augenbrauen an.
»Ehnström hat gesagt, Allan ist sechzehn Jahre alt. Du bist doch bestimmt nicht älter als vierzehn.«
»Das ist mein Bruder«, sagte Joel.
»Dein Bruder?«
»Allan ist mein Bruder. Und er ist krank geworden.«
»Wie heißt du denn?«
»Joel.«
»Und du kommst an Stelle von deinem Bruder? Am falschen Tag?«
»Allan hat Fieber und da hat er mir den falschen Tag gesagt.«
»Ist er sehr krank?« , »Er hat sich das Knie ausgerenkt.«
»Und davon kriegt man Fieber?« »Es ist in Norrland passiert.«
Sie schüttelte den Kopf. »Du musst morgen wiederkommen. Heute hab ich keine Zeit.« »Ja«, sagte Joel, »ich komme morgen wieder.«
Sie schloss die Tür und war weg. Joel merkte, dass er schwitzte. Er band sich den Schnürsenkel zu. Als er gerade gehen wollte, hörte er Musik aus der Wohnung. Er lauschte an der Tür.
Es gab keinen Irrtum. Es war Elvis Presley. »Heartbreak Hotel«.
Joel ging die Treppe hinunter. Aber eigentlich wäre er lieber zurückgegangen, hätte an der Tür geklingelt und sie umarmt, wenn sie öffnete. Seinen Körper durchlief ein Schauder, als er sich das vorstellte.
Auf der Straße drehte er sich zu ihrem Fenster um. Aber sie schaute ihm nicht nach.
Er ging geradewegs nach Hause. Als Erstes würde er »Heartbreak Hotel« üben, wenn Kringström ihm Gitarrespielen beigebracht hatte.
In ihm sang es, während er nach Hause hüpfte. In gewissen glücklichen Momenten meinte er in einen Ball verwandelt zu sein. Jetzt ging sie bestimmt in ihrer Wohnung in durchsichtigen Schleiern herum und hörte Elvis zu. Es war so gut, dass es fast nicht wahr sein konnte. Und Samuel war bei Sara. Das war auch gut. Jetzt hatte er seine Ruhe. Nachdem er Jacke und Stiefel ausgezogen hatte, die er wütend gegen die Wand geworfen hatte zur Strafe, weil sie zu eng waren, ließ er sich in Samuels Sessel sinken und stellte das Radio an.
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