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Joel 3 - Der Junge der im Schnee schlief

Joel 3 - Der Junge der im Schnee schlief

Titel: Joel 3 - Der Junge der im Schnee schlief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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und sie wie zwei undeutliche Schatten an der Tür wahrgenommen. Als sie in die Küche zurückgekehrt waren, war er zur Tür getappt und hatte gelauscht. Und da erfuhr er dann, dass sie gekommen war um zu hören, wie es ihm ging. Nicht um Samuel zu erzählen, wie viel Ärger er in der Schule machte, wenn er überhaupt dort erschien.
    »Joel fällt das Lernen so leicht«, sagte sie. »Aber er ist schlampig. Er hat zu viel anderes im Kopf.«
    »Für mich ist es nicht immer leicht, mich allein um ihn zu kümmern«, antwortete Samuel entschuldigend. »Aber ich mache es, so gut ich kann.«
    Bald darauf war Frau Nederström gegangen. Joel war wieder zum Bett gestürzt. Er hörte, wie sie die Treppen hinunterging.
    Samuel kam ins Zimmer. Joel tat wieder so, als ob er schliefe. Aber Samuel konnte er nicht täuschen.
    »Ich hab wohl gemerkt, dass du an der Tür gestanden und gelauscht hast«, sagte er.
    Er setzte sich auf Joels Bettkante.
    »Was ist das denn für eine Geschichte, die ich da erfahren habe?«, fragte er. »Das musst du mir jetzt selbst erzählen.
    Wie geht es dir überhaupt?«
    » Gut.«
    »Du musst aber doch sehr müde sein?«
    »Jetzt nicht mehr.«
    Dann erzählte Joel, was geschehen war. Samuel hörte zu, ohne ein einziges Wort zu sagen.
    »Simon war schwer«, schloss Joel. »Ich hätte nie gedacht, dass ein Mensch so schwer sein kann.«
    Samuel strich ihm hastig über die Stirn. »Das ist ja, als ob du einen Schiffbrüchigen gerettet hättest«, sagte er. »Einen Schiffbrüchigen draußen im Schnee. Und die Wogen gingen hoch im Schneemeer. Und der Sturm toste. Und du hast es geschafft, ihn an Land zu bringen. Lebend.« Joel verstand, was Samuel meinte. Obwohl er noch nie jemandem im richtigen Meer das Leben gerettet hatte. »Ja wirklich, es war, als ob ich dauernd Wasser schlucken musste«, sagte er. »Von all dem Schnee, der mir ins Gesicht schlug.«
    Samuel betrachtete ihn lange. Joel gefiel es, dass er dort saß und ihn ansah. Es machte auch gar nichts, dass er unrasiert war.
    »Komm in mein Zimmer und leg dich in mein Bett«, sagte Samuel nach einer Weile. »Dann lesen wir ein bisschen in der
Meuterei auf der Bounty.«
    Joel sprang aus dem Bett. Sein ganzer Körper schmerzte. Es war schon lange her, seit Samuel und er zusammen ein Buch gelesen hatten. Viel zu lange her.
    Samuel zog ihnen beiden die Decke bis zum Kinn hoch. Joel hatte ein Gefühl, als ob er zusammen mit einem Bären in der Höhle läge, um Winterschlaf zu halten.
    »Ich hab da vor dem Schuhladen gewartet«, sagte Samuel, »und ich war ziemlich böse, muss ich sagen.«
    »Vielleicht können wir die Stiefel nächsten Samstag kaufen«, sagte Joel.
    »Du kannst sie allein kaufen«, sagte Samuel. »Ich geb dir das Geld. Warum soll ich dabei sein, wenn du dir neue Stiefel kaufst. Wenn ich mich nicht täusche, fängst du an erwachsen zu werden.«
    »Ich wachse schon lange«, sagte Joel. »Du merkst es bloß erst jetzt.«
    Samuel nickte. »Vielleicht wollte ich es nicht bemerken«, sagte er. »Wenn du nämlich älter wirst, werde ich auch älter. Und das will ich nicht. Ich finde, ich bin schon alt genug.« Joel ahnte, dass es Samuel unangenehm war, davon zu sprechen, dass er alt wurde. Samuel griff nach dem Buch. »Wollen wir noch mal von Anfang an lesen?«, fragte er. »Das darfst du bestimmen«, sagte Joel.
    »Dann lesen wir zuerst das Ende«, sagte Samuel. »Das ist am besten.«
    Er las vor, wie die geheimnisvolle Insel plötzlich am Horizont auftauchte. Als die Meuterer angefangen hatten gegeneinander zu meutern. Als Fletcher sie fast nicht mehr unter Kontrolle hatte. Die Insel hatte sich wie ein riesiger Felsen aus dem Meer erhoben. Sie hatten die »Bounty« auf Grund gesetzt und waren an Land gegangen.
    Und dort waren sie immer noch. Nach vielen hundert Jahren.
    Samuel schlug das Buch zu und ließ es auf seinen Bauch fallen.
    Sie lagen schweigend da.
    Vor dem Fenster heulte der Wind. Aber Joel hörte, dass der Sturm abnahm. In den Wänden des Hauses knarrte und knisterte es. Als ob es ein Schiff wäre. Als ob sie irgendwo auf dem Meer schaukelten, in der Kapitänskajüte.
    »Da möchte ich gern hinfahren«, sagte Joel, »nach Pitcairn Island.«
    »Ich auch«, antwortete Samuel, »nach Pitcairn Island.« Dann sagten sie nichts mehr. Und Joel schlief wieder ein und schlief noch eine weitere Stunde.
    Spät am Nachmittag ging Joel zum Krankenhaus, um Simon zu besuchen. Samuel begleitete ihn. Joel hatte versprochen, ihm hinterher zu zeigen, wo

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