JörgIsring-UnterMörd
Salonwagen
zurück. Ihm war nicht nach Schlafen zumute. Ribbentrop hatte die Situation wie
erwartet verschärft. Es würde nicht mehr lange dauern. Göring musste sich
vorbereiten. Er fühlte sich wie eine Spinne, die in mühevoller Kleinarbeit ein
riesiges Netz ausgebreitet hatte. Jetzt schwirrten die fetten Brummer nur so
um ihn herum. Fragte sich nur, wer am Ende in seinen klebrigen Fängen landete.
24.
Berlin
31. August Polnische Botschaft,
Vormittag
Joseph Lipskis Hände zitterten. Die Augen des polnischen Botschafters
flirrten über das Papier wie Mücken im Abendrot. Man musste keine tiefere
Menschenkenntnis besitzen, um zu erkennen, dass Lipski nicht in der Lage war,
sich auf den Inhalt des Schreibens zu konzentrieren. Dahlerus kniff die Lippen
zusammen. Er hätte am liebsten über den Tisch gegriffen und Lipskis Hände
festgehalten. Forbes, der neben ihm saß, klopfte ungeduldig mit den Fingern
auf die Tischplatte. Der englische Diplomat hatte seinem polnischen Kollegen
die sechzehn Punkte des deutschen Angebots handschriftlich auf einer Seite
notiert, damit dieser sie leichter aufnehmen konnte. Aber Lipski schüttelte
nur fahrig den Kopf. Sein Haar war fettig, das Kinn unrasiert. Selbst sein
Anzug wirkte durchgeschwitzt. Nach ein paar Minuten legte er das Blatt auf den
Tisch. Statt seine beiden Gesprächspartner anzusehen, fixierte er einen
imaginären Punkt zwischen ihnen.
»Ich verstehe nichts von dem, was ich da lese. Tut mir
leid.«
Dahlerus biss
sich vor Wut fast ein Loch in die Lippe. Es war Hendersons Idee gewesen, den
polnischen Botschafter mit den deutschen Vorschlägen zu konfrontieren, wenn
kein Pole bereit war, sie von den Deutschen direkt in Empfang zu nehmen.
Dahlerus hatte Henderson nach seiner Nacht in Görings Zug aufgesucht und ihm
eine genaue Abschrift der deutschen Note mitgebracht. Sie stimmte recht genau
mit dem überein, was der Schwede Forbes ein paar Stunden zuvor am Telefon
durchgegeben hatte. Henderson wirkte ratlos; das Treffen mit Ribbentrop nagte
noch an ihm. Dahlerus schien es, als habe der Brite bereits kapituliert, sich
ins Unvermeidliche gefügt. Umso überraschter war er, als Henderson plötzlich
darauf bestand, Lipski die deutsche Note zu unterbreiten. Telefonisch
vereinbarte er einen Termin und bat Forbes und Dahlerus, die Sache zu
übernehmen.
Der Schwede stand von seinem Stuhl auf. Das durfte alles nicht wahr sein.
Offensichtlich begriff dieser Pole nicht, dass er dabei war, den letzten
rettenden Strohhalm zu ignorieren. Dahlerus fasste sich an die Stirn, dachte
nach. Es fiel ihm schwer, weil die Angestellten der Botschaft überall herumschwirrten
und Kisten zusammenpackten. Keiner von ihnen wollte eine Sekunde länger als
nötig in Berlin bleiben. Dahlerus drehte sich um und wandte sich an Lipski.
»Ich kann Ihrer Sekretärin die sechzehn Punkte diktieren. Sie wird die Note
sofort ins Polnische übersetzen. Hilft Ihnen das?«
Lipski vergrub das Gesicht kurz in seinen Händen. Er klang erschöpft. »Sie
verstehen das nicht. Es ist vorbei.«
Dahlerus kniff die Augen zusammen. »Was soll das
heißen?«
Lipski hob die Schultern und ließ sie wieder fallen. »Vorbei heißt vorbei.
Aus, Ende, Finito. Was gesagt ist, ist gesagt. Jetzt sprechen die Militärs.«
Forbes mischte
sich ein. »So einfach ist das nicht, Herr Botschafter. Hier geht es nicht nur
um die Polen. Wenn Sie in den Krieg ziehen, reißen Sie andere Nationen mit. Es
ist Ihre Pflicht, alle diplomatischen Möglichkeiten zu nutzen.«
Lipski stöhnte leise. »Die Diplomatie ist am Ende, Mr. Forbes, das wissen
Sie genauso gut wie ich. Außerdem ist das nicht unser Krieg. Wir wollen keinen
Krieg. Der Einzige, der Krieg will, ist Hitler. Jetzt bekommt er ihn.«
Lipski wollte aufstehen, aber Forbes legte seine Hand auf den Arm des
Botschafters. Seine Stimme hatte etwas Beschwörendes. »Sehen Sie sich die
deutschen Vorschläge wenigstens einmal an. Vielleicht erleben Sie ja eine
Überraschung.«
Der Pole betrachtete erst die Hand des Briten und blickte ihm danach frontal
ins Gesicht. Seine Augen waren leer. »Es ist zu spät. Und es ist alles gesagt.
Dieser Vorschlag interessiert mich nicht mehr. Ich bin jetzt fast sechs Jahre
in Deutschland und kenne die Lage bestens. Mir muss niemand mehr erklären, wie
die Dinge hier laufen. Ich besitze Verbindung zu den maßgeblichen Kreisen im
Land, Hermann Göring ist ein enger Freund von mir.
Soll ich Ihnen sagen, was passiert, wenn ein Krieg ausbricht? Das
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