JörgIsring-UnterMörd
aufzuschreiben. Er wollte wenigstens
irgendetwas in Händen halten, mit dem sich der Wahnsinn belegen ließ; alle
wichtigen Dokumente der Botschaft hatte er bereits verbrennen lassen. Die
Stimmung war gedrückt, das ergebnislose Treffen mit Göring am Nachmittag
verhieß nichts Gutes. Dahlerus fühlte sich leer. Es gab im Moment nichts mehr
zu sagen. Forbes hielt sein Notizbuch fest umklammert.
»Machen Sie sich keine Vorwürfe, Herr Dahlerus. Sie haben alles getan, was
möglich war. Wir kennen uns jetzt erst seit wenigen Tagen, aber das Eine weiß
ich: Ohne Sie wären wir gar nicht so weit gekommen.«
Der Schwede wirkte müde. »Am Ende zählt nur das Ergebnis. Wenn es danach
geht, habe ich gar nichts erreicht.«
»So dürfen Sie nicht denken.«
»Doch, Mr. Forbes. So muss ich sogar denken.«
Forbes sah zu Boden. »Es tut mir leid.«
»Warum? Es ist doch nicht Ihre Schuld.«
»Was machen Sie jetzt?«
»Ich werde noch
etwas essen und dann zu Bett gehen. Göring möchte mich morgen früh in seinem
Zug sehen. Er sagte, es gebe Neuigkeiten.«
Forbes stand auf und reichte Dahlerus die Hand. »Ich glaube, dass es nicht
mehr lange dauert.«
Der Schwede drückte fest zu. »Da irren Sie sich. Es hat längst angefangen.«
31.
Berlin
31. August
Schein-Carinhall, Abend
Krauss rannte geduckt hinter Oda her. Vor einer Minute war ein Wagen am
Rande der Lichtung erschienen, der die Aufmerksamkeit der Wachen auf sich zog.
Bensler. Krauss betete, dass er den Jungen dabei hatte. Es dämmerte, aber die
Männer auf dem Dach von Schein-Carinhall hatten trotzdem schon ihre
Scheinwerfer angeschaltet. Ab und zu war der Lichtkegel ihnen im Gras gefährlich
nahe gekommen. Doch jetzt konzentrierten sich alle Strahler auf das Fahrzeug,
das langsam zum Haus fuhr. Das erhöhte ihre Chancen, unentdeckt zum Eingang
des Luftschachts zu gelangen, hoffte Krauss. Zudem hatte der Wind aufgefrischt
und bewegte die Büsche, in deren Deckung sie am Waldrand entlangliefen. Oda
fand sich im Zwielicht bestens zurecht, sie schien tatsächlich jeden Strauch,
jede Wurzel, jeden Stein zu kennen, bewegte sich fließend durchs Gestrüpp.
Krauss und Oda mussten ans Ende des östlichen Gebäudeflügels gelangen. Der
Einstieg zum noch nicht ausgebauten Bunkertrakt lag in diesem Flügel, der
Luftschacht etwa zehn Meter von der Hausattrappe entfernt. Wenn Oda recht
behielt, würden sie von der gewaltigen Balkenkonstruktion verdeckt; nur jemand,
der vom Dach direkt zu ihnen hinunterschaute, konnte sie ausmachen.
Oda bedeutete ihm mit der Hand zu warten. Krauss hielt
inne. Er drückte die Tasche mit der Ausrüstung an seine Brust. Oda sondierte
das Gelände mit dem Fernglas. Sie waren am Ende des Ostflügels angelangt, aber
noch im Schutz des Waldes. Bis zum Haus mussten sie etwa hundert Meter freies
Gelände überwinden. Von der Vorderfront des Gebäudes drangen Stimmen zu ihnen
herüber.
»Die Gelegenheit ist günstig«, flüsterte Oda. »Wir
müssen es versuchen.«
Krauss nickte. Oda spurtete los, Krauss folgte ihr mit zwei Metern
Abstand.
Sie rannten, bis sie die Wand des Gebäudes erreicht hatten. Nichts
passierte.
Oda gab Krauss
ein Zeichen, wo der Luftschacht ungefähr lag. Sie ging vor, drückte dabei mit
den Händen immer wieder das kniehohe Gras auseinander.
»Hier ist es.«
Oda kauerte sich hin, Krauss hockte sich neben sie. Vor ihnen war ein
Gitter im Boden eingelassen, der Eingang zum Schacht. Krauss schätzte ihn etwa
1,20 Meter mal 70 Zentimeter. Er würde hindurchpassen, aber nur knapp. Sehr
knapp.
Oda machte sich am Gitter zu schaffen, hebelte es auf. »Es ist nur
aufgesetzt. Ein Provisorium, weil der Trakt noch im Bau ist. Schlamperei.« Sie
lachte leise und sah Krauss an. »Gib mir das Seil. Ich gehe rein.«
Krauss öffnete die Tasche und nahm das Seil raus. Sie hatten ihr Vorgehen
mehrfach durchgesprochen. Oda wollte, gesichert mit einem Seil, zuerst
einsteigen. Gab es Probleme im Schacht, sollte Krauss sie herausziehen. Lief
alles glatt, würde er sich das Seil umbinden und nachkommen. Zweimal ziehen am
Seil bedeutete Probleme, dreimal ziehen hieß, dass alles klar war.
Oda hatte sich das Seil schon fest um die Brust geschlungen. Sie nahm
Krauss' Gesicht in beide Hände. »Wir holen den Jungen da raus. Versprochen.«
Sie drehte sich
um, überprüfte das Seil und rutschte kopfüber in den Schacht. Nach wenigen
Sekunden war sie verschwunden. Krauss blickte sich um. Allmählich legte sich
Dunkelheit über Schein-Carinhall.
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