JörgIsring-UnterMörd
wortlos an und verschwand im Kommandoraum. Krauss suchte im
nächsten Gang nach der Zelle, in der er zwei Tage verbracht hatte. Bensler
würde die Schüsse gehört haben. Er war vorbereitet. Aber aller
Wahrscheinlichkeit nach unbewaffnet. Göring würde nicht mit einem bewaffneten
Mann reden. Schon gar nicht, wenn er Abmachungen missachtete. Bensler sollte
den Jungen nach Schein-Carinhall bringen. Offensichtlich traute er Göring nicht.
Krauss konnte es ihm nicht verdenken.
Er stand vor Benslers Zelle, öffnete die Tür und trat ein, die Waffe im
Anschlag. Der Nazi saß in demselben Sessel, in dem schon Oda und Göring auf
Krauss eingeredet hatten.
Bensler verschränkte die Arme vor der Brust. »Na schau einer an. Richard
Krauss. Das ist aber mal eine Überraschung. Tut mir leid, dass ich bei deinem
letzten Besuch nicht auf dich warten konnte. Aber ich hatte plötzlich etwas
Dringendes zu erledigen.«
»So viel Glück hast du kein zweites Mal.«
Bensler schien ungerührt. »Willst du nicht wissen, was ich zu erledigen
hatte? Aber wahrscheinlich weißt du es schon. Sonst wärst du ja nicht hier.«
Krauss antwortete kalt. »Treib es nicht zu weit. Sonst töte ich dich auf
der Stelle.«
Benslers Stimme triefte vor Hohn. »Wenn du meinst, dass du den Jungen auch
ohne mich findest, bitte schön. Aber du solltest wissen, dass ich genaue
Anweisungen gegeben habe für den Fall, dass ich nichts von mir hören lasse.
Melde ich mich nicht in einem festgelegten Rhythmus, wird der Kleine leider
dran glauben müssen. Wäre schade um das putzige Kerlchen. Andererseits weiß er
sowieso nicht mehr, wo er hin soll. Wo er doch Mama und Papa und Kindermädchen
gleichzeitig verloren hat. Tragisch, was?«
Krauss schlug Bensler die Waffe ins Gesicht. Bensler heulte auf. Blut lief
seine Wange hinunter.
Krauss baute sich vor ihm auf. »Ich reiße dich in Stücke, Bensler, bis ich
weiß, wo der Junge ist. Du weißt, dass ich es ernst meine.«
»Mach, was du willst. Von mir erfährst du nichts.«
»Du wirst dieses Angebot von mir nur ein einziges Mal hören. Ich töte dich
nicht, wenn du mir sagst, wo der Junge ist. Mehr kannst du nicht von mir
erwarten.«
Bensler lachte
gackernd. »Hältst du mich für einen Vollidioten? Glaubst du, ich traue dir?
Solange ich den Jungen habe, wirst du mir nichts tun. Ich werde hier
herausspazieren, und du wirst mich nicht daran hindern. Weder du noch Göring
noch sonst irgendjemand.«
»Da wäre ich mir mal nicht so sicher.«
Es war Oda, die
sich ins Gespräch einmischte. Bensler fielen fast die Augen aus dem Kopf.
»Da wird ja der Hund in der Pfanne verrückt. Oda? Was machst du denn hier?
Jetzt fehlt nur noch Edgar, und wir können auf die alten Zeiten anstoßen.«
Oda reagierte
nicht auf Benslers Geschwätz. Sie wandte sich an Krauss. »Hast du seine Schuhe
gesehen? Sie sind voll frischer schwarzer Erde. Das Haus, das er mir einmal
gezeigt hat, liegt am Ende eines lehmigen Waldweges, nur eine halbe Stunde von
hier entfernt. Gestern hat es geregnet. Er hat den Jungen in seinem Haus versteckt.«
Unruhig rutschte Bensler auf dem Sessel hin und her. Krauss betrachtete die
Schuhe des Nazis. Oda hatte recht. Sie waren lehmverschmiert.
Bensler wurde
plötzlich leichenblass, seine Stimme hatte ihren spöttischen Ton verloren. »Du
glaubst doch nicht dieser Schlampe, Richard? Sie arbeitet für Edgar, falls du
das nicht weißt. Wenn sie dir was anderes erzählt hat, lügt sie.«
Krauss sah ihm in
die Augen. »Du weißt nicht mehr, wovon du redest. Deine Zeit ist abgelaufen.
Diesmal kommst du nicht davon.«
Bensler schrie plötzlich. »Richard, ich bringe dich zu dem Jungen,
wirklich, ich schwör's ...«
Seine letzten Worte brachte er nur noch gurgelnd hervor. Krauss hatte ihm
in die Stirn geschossen. Benslers Kopf klappte nach hinten auf die Sessellehne.
Krauss drehte sich zu Oda. »Ich hoffe, du hast recht.«
Oda schluckte. »Lass uns hier verschwinden.«
Sie liefen zurück zum zentralen Schaltraum. Krauss betrat die Leitstelle
zum ersten Mal. Die Vielfalt der Schalter und Monitore war für ihn verwirrend.
Ohne Oda hätte er damit nicht umzugehen gewusst. Zwei Männer lagen auf dem
Boden, unter einem von ihnen breitete sich eine große Blutlache aus.
Oda trat ans Schaltpult. »Und es werde Nacht über Schein-Carinhall.« Sie
drückte ein paar Knöpfe. »So, die Jungs draußen haben jetzt ein paar Probleme.
Mal sehen, ob ihnen ein Licht aufgeht.«
Wieder lief Oda voran und Krauss folgte. Sie
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