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JörgIsring-UnterMörd

Titel: JörgIsring-UnterMörd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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schiefen Blick des strengen Fräuleins, deren
Auftreten eher an eine gelangweilte Galeristin als an eine Sekretärin denken
ließ. Aber weder sie noch das gediegene Interieur imponierten ihm, obwohl ihm
durchaus bewusst war, dass hier einschüchternde Machtfülle demonstriert werden
sollte. Die Situation war für Dahlerus eher befremdlich, als ob man auf einen
Urteilsspruch warte oder eine medizinische Diagnose, die das Leben für immer
verändern würde.
    Plötzlich änderte sich die Atmosphäre, wechselte der Ort seinen Charakter.
Erst wusste Dahlerus nicht, was er da hörte, aber es dämmerte ihm schnell, was
hinter den verschlossenen Türen vorging: Göring brüllte wie ein tollwütiger
Hund, sein Gegenüber kläffte zurück. Zwar drangen bis zu Dahlerus nur Wortfetzen
durch, aber dass der Innenminister nicht bei bester Laune war, schien außer
Zweifel. Schon verfluchte sich der Schwede ob des Tages, den er gewählt hatte,
konnte aber auch nicht umhin, Görings Stimmvolumen zu bewundern, das sogar
gepolsterte Türen zu durchdringen in der Lage war.
    Gerade als
Dahlerus mit sich haderte, warum das Schicksal ausgerechnet ihm so übel
mitspielte, wurde die Tür schwungvoll aufgeschleudert. Ein Mann mittleren
Alters stürmte hinaus, hastete energisch durch das Vorzimmer, riss Mantel und
Hut vom Ständer, bevor die Sekretärin auch nur von ihrem Stuhl aufstehen
konnte, und verschwand grußlos. Da der zornige Besucher die Tür zu Görings
Arbeitszimmer nicht geschlossen hatte, durfte Dahlerus mit anhören, wie Göring
wütend vor sich hin brabbelte. Mehrfach schlug der Innenminister mit der Hand
auf den Tisch. Wie der Schwede später erfuhr, hatte es sich bei Görings Gast um
den Dirigenten Wilhelm Furtwängler gehandelt, der für einen seiner Musiker,
einen Juden, der aus seinem Orchester verbannt werden sollte, vorgesprochen
hatte. Weder der berühmte Künstler noch der Minister war bereit, von seiner
Position abzurücken - so war der Streit eskaliert.
    Görings
Sekretärin quittierte die Windeseile der Abschiedsszene mit einem mitleidigen
Lächeln. Vorwurfsvoll sah sie kurz herüber zu Dahlerus, als ob dieser die Szene
bestellt hätte, strich energisch ihren Rock glatt und huschte zu ihrem Chef.
Hinter ihr fiel die Tür mit einem lauten Knall ins Schloss. Dahlerus sah seine
Chancen auf ein erfolgreiches Gespräch rapide schwinden. Fast war er geneigt,
seine Sachen zu nehmen und auf das Treffen zu verzichten. Sollten Görings
cholerische Ausbrüche eher die Regel als die Ausnahme sein, würde es wohl eine
kurze Audienz werden. Ein derartiges Verhalten könnte und würde Dahlerus,
sollte er selbst damit konfrontiert werden, nicht tolerieren.
    Nach drei bangen Minuten öffnete die Sekretärin die Tür zu Görings
Arbeitszimmer und nickte dem Schweden auffordernd zu. »Der Innenminister lässt
bitten.«
    Göring thronte hinter einem mächtigen Schreibtisch aus Eichenholz und blätterte,
ohne aufzublicken, lustlos in Papieren. Dahlerus kannte den Deutschen bisher
nur von Bildern und aus Wochenschau-Filmen, er hatte ihn sich voluminöser
vorgestellt, revidierte aber bald sein vorschnelles Urteil - es war der ausladende
Tisch, der Göring geradezu zierlich erscheinen ließ. An einer Wand hing ein
großformatiger Ölschinken, eine barocke Jagdszene, auf der ein Hirsch von
Pfeilen getroffen zu Boden sank. Der treffsichere Schütze saß auf einem weißen
Pferd und glich dem etwas feist geratenen Minister wie ein eineiiger Zwilling.
Dahlerus nahm es amüsiert zur Kenntnis. Wahrscheinlich sah sich Göring in der
Rolle des wackeren Waidmannes, dachte er. Solange er nur Tiere jagte.
    Der Schwede musste mehr als die Hälfte des Raums durchqueren, bis er den
im Vergleich zum übrigen Mobiliar schmucklosen Stuhl vor dem übergroßen
Schreibtisch erreicht hatte. Es kam ihm vor, als trete er vor ein
Inquisitionsgericht. Auf dem Tisch standen ein gigantischer Kerzenhalter samt
Kerze, eine bauchige Stehlampe und eine kleine Hakenkreuzfahne. Das Rot korrespondierte
mit der rosigen Gesichtsfarbe des Ministers. Auch ein recht großer
Stand-Bilderrahmen fand Platz auf dem überladen wirkenden Möbelstück. Dahlerus
fragte sich, auf wessen Porträt Göring den lieben langen Tag über schaute. Er
vermutete das strenge Antlitz Hitlers. Hinter Göring hing ein großes Schwert
mit der Schneide nach unten, den Knauf schmückte ein Orden. Es war, wie
Dahlerus später erfuhr, der Göring für seine Verdienste im Ersten Weltkrieg
verliehene Orden

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