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JörgIsring-UnterMörd

Titel: JörgIsring-UnterMörd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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zum Beispiel erklären, warum du
gegangen bist und deine Familie im Stich gelassen hast. Ich meine nicht Hanna
und den Jungen.« Edgar deutete mit dem Finger auf sich. »Wir waren deine
Familie, ich und die anderen >Söhne Odins<. Wir haben dich geliebt, und
wir wären für dich gestorben. Ich habe mir immer wieder den Kopf darüber
zerbrochen, was deinen plötzlichen Kurswechsel verursacht haben mag, aber es
wollte mir einfach nicht einleuchten. Erkläre es mir, hier und jetzt.«
    Krauss schrie seinen Bruder an. »Wie soll ich dir etwas erklären, das du
nicht begreifen kannst! Schau dich doch nur mal um: Wie willst du das, was um
dich herum passiert, den Menschen erklären? Folter und Mord an Unschuldigen.
Dein Horizont ist so beschränkt wie der eines Tieres: Fressen oder gefressen
werden, was anderes kennst du nicht. Da gibt es nichts zu erklären.«
    Edgar hüstelte in die vorgehaltene Hand. »Du erschreckst mich. Dieser Hass,
das passt gar nicht zu dir. Auch noch gegen deinen Bruder. Außerdem, wenn ich
mich recht erinnere, hast auch du getötet. Und tötest noch, wenn du schon auf
diesen Raum anspielst. Was du hier angerichtet hast, war ein Massaker.«
    Krauss schüttelte leicht den Kopf. »Auch das wirst du nie verstehen. Ich
versuche nur, die Balance wiederherzustellen. Zu meinen Gunsten. Ich war ein
Mörder, das stimmt, und ich habe mein Leben verwirkt, auch das. Aber ich töte
nicht mehr. Ich beseitige Unrat. Leider ist dieses Land so verdreckt, dass ein
Müllmann nicht reicht.«
    »Wenn das deine neue Art von Humor ist, kann ich dir nur sagen, dass ich
dich früher amüsanter fand. In deinem Oberstübchen scheint einiges
durcheinandergeraten zu sein in den vergangenen Jahren. Vielleicht hast du länger
in keinen Spiegel mehr gesehen. Hättest du es getan, hättest du einen
deutschen Arier erblickt, einen Herrenmenschen, der zu Höherem berufen ist. Du
hast genauso wie ich daran geglaubt, dass unser Volk eine große Zukunft hat,
wenn man ihm den Weg dorthin weist. Du warst so unbeirrt, so überzeugt, so
durchdrungen davon, dass ich dir bedingungslos vertraut habe - ich konnte
nicht anders, denn in unseren Adern fließt dasselbe Blut. Plötzlich sollte all
das keine Rolle mehr spielen? Plötzlich zählte es nichts mehr, zu den engsten
Vertrauten des Führers zu gehören? Der Schutzengel seines Sohnes zu sein? Wie
kann man so etwas nur wegwerfen?«
    Krauss lachte
verächtlich. »Dein verlogenes Gequatsche ist unerträglich. Es ist mir
unbegreiflich, wie ich diesen Schmutz jahrelang ertragen habe und warum ich
eure Lügen als bare Münze genommen habe. Dieses Gerede von Rasse, Volk und
Lebensraum, es erscheint mir heute so billig, so durchschaubar, und ich könnte
mich jeden Tag dafür prügeln, dir so bedingungslos gefolgt zu sein. Und wenn du
es genau wissen willst: Ich wollte dich schon töten, bevor ich mit Hanna
geflohen bin. Sie hat mich davon abgehalten, hat auf mich eingeredet wie auf
einen störrischen Esel. Du hast es Hanna zu verdanken, dass du noch lebst, Edgar.
Als Dank hast du ihr eine Kugel verpasst.«
    Die beiden Männer starrten sich grimmig an. Nach einer Weile schaute Edgar
zu Boden. Keiner von beiden sprach ein Wort. Die Stille war so vollkommen, dass
sich Krauss für einen Moment in der kleinen Kammer unter der Treppe seines
Hauses in London wähnte, Hannas Fotografie vor Augen. Sein Leben war eine nicht
enden wollende Katastrophe.
    Edgars Stimme vertrieb die Bilder aus der Vergangenheit. Sein Ton war
schneidender geworden. »Bensler hat dich rausgejagt, was? Du willst mich
erledigen und das Geheimnis des Jungen mit ins Grab nehmen! Habe ich recht,
Richard? Ich kenne dich besser als du selbst, weißt du das nicht mehr? Aber du
ignorierst die Bande, die uns zusammenhalten.« Bei den letzten Worten hatte
Edgar die Stimme leicht erhoben. Er machte eine kurze Pause. Danach sprach er
ruhiger, fast schmeichelnd weiter. »Was auch geschehen ist, weshalb auch immer
du nach Berlin zurückgekommen bist - dieses Band zwischen uns kannst du nicht
leugnen. Und ich bin mir sicher, dass es in den vergangenen Jahren Momente gegeben
hat, in denen du dir gewünscht hast, alles ungeschehen machen, die Zeit
zurückdrehen zu können. Aber der Krieg verändert einen Menschen, und wenn du
dich erstmal für eine Seite entschieden hast, prägt das dein Denken und
Handeln. Ich verstehe das sehr gut. Ich verstehe, dass du dich gegen mich
stellen musstest. Und ich würde es auch verstehen, wenn du wieder zu mir

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