Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)
Gastgeberin, auch über Salgers Begeisterung für beide, eine spöttische Bemerkung.
Salger war nicht einverstanden. Überall werde schlecht über Kate Assperg geredet, er verstehe das gar nicht. »Wieso wird von allen so schlecht über sie geredet?« sagte Salger, offenbar hätten viele Leute große Angst vor ihr. Dabei habe er sie ganz anders kennengelernt und erlebt, freundlich, interessiert an Menschen, auch im Gespräch erstaunlich locker. Jedesmal sei es bei ihrer Einladung bisher so gewesen, dass er mit ihr zusammen sogar viel gelacht habe. Er habe dabei einen ziemlich guten Humor an ihr feststellen können. Von diesem Humor werde im Zusammenhang mit Kate Assperg nie geredet. Holtrop gab ihm recht. Natürlich war sie witzig. Der böse Mensch ist witzig. Seine Bosheit macht ihm Spaß, denn sie macht ihn stark, die Stärke macht ihn siegreich, das Siegen macht ihn witzig. Und die Unterlegenen kann der Böse dann zum Spaß mit seinen Witzen gut verhöhnen.
Holtrop erinnerte sich durch Salgers Erzählungen an seine eigenen Anfänge bei Kate Assperg. Auch ihn hatte Kate Assperg zuerst als ihren neuen Golden Boy adoptiert und sofort in den Kreis der Ihren aufgenommen, dort vorgezeigt und vorgeführt. Auch Holtrop hatte gar nicht bemerkt, dass andere, Ältere, ihm gegenüber zurückgesetztwurden, im selben Moment, wie er diesen Älteren von ihr vorgezogen wurde. Und wie jetzt Salger hatte auch er diese Zuwendung als Ausdruck einer menschenfreundlichen Herzlichkeit von Kate Assperg empfunden, die es ihm leichtgemacht hatte, Sympathien für sie zu haben. All das lag schon so viele Jahre zurück, aber es war so gewesen, er hatte sie anfangs selber einfach gern gemocht. Und da fiel ihm auch ein, was sie ihm mit ihren Blicken, die sich zornig von ihm abwendeten, sagte: »Du magst mich nicht mehr. Das bestrafe ich.«
Plötzlich war Holtrop von Salgers guter Laune gestresst. »Was erlauben Salger!« dachte Holtrop. Salger machte Holtrops Gutgelauntheit einfach nach, auch Holtrop gegenüber, er wusste noch nicht, dass eine solche Entreißung und Übernahme von positiven Eigenschaften des Ober durch den Unter dem Unter im Umgang mit dem Ober normalerweise nicht gestattet war. Das Provinzielle von Salger, vielleicht auch sein Ostlertum wurden daran sichtbar, das mangelnde Gefühl für die ganz groben, tief liegenden Unterschiede von Rang. Rang, Gleichheit und Unterschied waren im Ordnungssystem von Salgers inhaltistischem Karrierismus ganz auf die Qualität der Arbeit ausgerichtet, Rang war für ihn von daher bestimmt. Wenn Salger fachlich gut war, fühlte er sich niemandem, der darin nicht besser war, nachgeordnet, auch seinem Chef Holtrop nicht. Und genau das war es, was Holtrop an Salger so erfrischend fand. Dass Salgers gute Laune ihn jetzt grantig machte, wollte Holtrop nicht akzeptieren. Grant war die Endstation der Mächtigen. An dieser Endstation wollte Holtrop noch nicht angekommen sein. Er unterbrach Salger und fragte ihn nach seiner Einschätzung der Brosseaffäre. »Oh!« sagte Salger, »ich soll doch nicht etwa ehrlich sein?« »Nein«, antwortete Holtrop, zu seinem eigenen Erstaunen erleichtert, »ehrlich gesagt, lieber nicht!«, keineschlechten Nachrichten mehr an diesem herrlichen Morgen in Hamburg, er werde Salger später nocheinmal, wenn er in Schönhausen sei, anrufen, »vielen Dank, bis dann!«. Der Grant war weg. Von der Aussicht auf das Negative, was Salger gleich zu sagen gehabt hätte, war der Grant, der von Glück und Überdruss an Glück bedingt war, beseitigt worden. Ungrantig nahm Holtrop einen letzten Schluck Kaffee. Er würde nach Schönhausen fahren und doch noch zu dem Frühstück zu Kate Assperg gehen. Denn er wusste durch das Gespräch mit Salger plötzlich wieder, wie er ihr begegnen wollte, offen werbend. Diese Idee elektrisierte Holtrop. Er schrieb eine Mail an Dirlmeier: »Brauche Terek sofort!« Dann ging er unter die Dusche, zog sich an und checkte zehn Minuten später in der Halle des Atlantic aus. Vor der Türe stand sein Wagen. Terek kam auf ihn zu und nahm ihm seine Tasche ab. Dann brausten sie los. Es war kurz nach zehn. Hamburg, Hannover, Warstein, Schönhausen, 267 km. In zwei Stunden wollte Holtrop in Redecke sein. Ob das denn zu schaffen sei, fragte er Terek. »Selbstverständlich!«, sagte der und freute sich, endlich einmal wieder als rasender Fahrer gefragt zu sein. Holtrops Optionen fächerten sich in verschiedene Richtungen hin auf. Nach dem Auftritt in Redecke war klar,
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