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Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Titel: Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainald Goetz
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was folgen musste: Brosse entfernen, dann den alten Assperg. Es gab dabei jeweils eine rechtliche und geschäftliche Seite zu bedenken, eine persönliche und eine firmenbezogene, eine informationelle, institutionelle, zuletzt natürlich auch eine finanzielle Seite. Sie erreichten die Autobahn, Terek beschleunigte den Wagen. Nach nur zehn Kilometern immer auf der linken Spur: links blinken und so scharf wie möglich auf den Vordermann auffahren, um den aufzuschrecken und nach rechts zu scheuchen, Durchschnittstempo trotz dichtem Verkehr bei 210 km/h, standen sie im Stau. Vorne blinkten bunt die Warnblinkanlagen, Holtrop sahScheinwerfer, Rücklichter, Bremsspuren, Rauch. Vor wenigen Minuten erst musste hier ein schwerer Unfall passiert sein, die Autos standen stehend fest, Terek machte den Motor aus.

XXVIII
    Holtrop sah den Unfall und erkannte sofort die Ursache: der menschliche Faktor. Wieder einmal war irgendjemandem ein Fehler passiert. Weniger Dummheit und weniger Faulheit würden zu mehr Gewinn und Glück für alle führen, nicht nur im Reich Assperg. Das war Holtrops Hauptidee: mehr Glück für alle. Mehr Arbeit, mehr Glück, mehr Geld. Durch weniger Frechheit und mehr Freiheit käme es zu weniger Unglück und zu mehr Freude an der Arbeit. Die Anstrengung dazu müsste aber durch mehr Freiheit bewirkt werden, eben nicht durch gesteigerte Strenge oder Überwachung. Holtrop hatte sich mit den Arbeiterbewegungen seit den 1830 er Jahren dahingehend auseinandergesetzt, dass er für sich selbst zu dem Schluss gekommen war, einen idealen KOMMUNISMUS für das entscheidende tertium comparationis oder zumindest non datur oder debitur zu halten, jedenfalls für sich und seine Arbeit im Office of the Chairmann der Assperg AG .
    Holtrop wollte diesen Gedanken mit Bodenhausen besprechen und versuchte sofort dort anzurufen, stellte aber fest: Funkloch. Holtrop schaute vom Telefon auf, der Wagen stand immer noch. »Was ist los?« dachte Holtrop, keinen einzigen Zentimeter hatten sie sich in den letzten vierzig Sekunden nach vorn bewegt. Vorne sah Holtrop Leute laufen, Feuer, eine Verpuffungsreaktion hatte zu Gasbrand an einem der Wracks geführt, der Lack schmorte schwach.Von hinten wurden Sirenen der Rettungsfahrzeuge hörbar, die Autos im Stau bewegten sich langsam auseinander, in der Mitte entstand eine freie Spur, auf der zwei Polizeiwagen und ein roter Notarztwagen mit Lichtern und Sirenen nach vorne zur Unfallstelle rasten. Holtrop erkundigte sich bei Terek, ob es bei ihm auch Probleme mit der Funkverbindung gebe. Terek drehte sich langsam um und nahm, um Holtrop besser zu verstehen, den rechten Kopfhörer aus seinem Ohr. »Haben Sie den Flash korrekt aktiviert?« »Keine Ahnung.« »Was zeigt denn Ihre Dashkontrolle?« »Meine was?« Terek ließ sich das Handy von Holtrop geben und drückte verschiedene Knöpfe, sagte dann »geht doch« und gab das Handy über seine Schulter nach hinten zu Holtrop zurück. »Sehr gut«, sagte Holtrop, »danke.«
    Draußen knatterte der Rettungshubschrauber unsichtbar von hinten heran, zerhackte die Luft über dem Wagen Holtrops mit rhythmischem Lärm, dann stürzte der Körper des kaum mehr als wespengroßen Hubschraubers grellfarben vor Holtrops Augen in die Tiefe, fing sich über dem Boden und setzte auf der Gegenfahrbahn der Autobahn auf, keine dreißig Meter von Holtrop entfernt. Die Rotorblätter verlangsamten ihre Drehung, drehten sich aber noch, als die ebenfalls grellbunt bekleideten Rettungssanitäter aus dem Hubschrauber gekrabbelt kamen und gebückt mit ihrer Bahre zur Unfallstelle liefen, um die Verletzten abzutransportieren. Währenddessen hatte das Handy die Verbindung zu Bodenhausen aufgebaut, Bodenhausen saß in einem Wiener Plüschhotel am Frühstückstisch.
    »Was willst du?« rief Bodenhausen, »hast du kurz Zeit?« fragte Holtrop, und Bodenhausen sagte: »in zwei Minuten, kann ich dich zurückrufen?«, Holtrop: »klar!«. Holtrop wartete. Jetzt müsste man im Geist den berühmten Yogakopfstand machen, der in der höheren Kokoloreswelt der mittelalten Frauen, die die Yogabekehrung schon eingeatmet und Ungeduld als niederes Dhárma längst komplett aus sich herausgeatmet hatten, das weit offene Tor zur allerhöchsten Hánuma Sánana war. »Kannst du eigentlich Yoga?« fragte Holtrop Bodenhausen, als der anrief. »Nee, wieso?« »Ich bin immer so ungeduldig, vielleicht kann man das wegyogen.« »Nimm lieber Östrogene«, meinte Bodenhausen, »das wirkt schneller.« »Du

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