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Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Titel: Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainald Goetz
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gehalten hatte, mit starkem Akzent in Richtung von Holtrop, der nickte nur und bestieg den Lieferwagen durch die Schiebetüre. Es rumpelte, krachte und rüttelte beim Losfahren, das Auto war praktisch ungefedert, achtzig Kilometer waren es auf kleinen, schlechten Straßen über Land hin bis nach Schönhausen. Jede Stufe der Therapie hatte Holtrop noch kaputter gemacht. Der Stimulantienentzug ganz zu Anfang war die schlimmste Zeit gewesen. Sein ganzer Körper hatte sich in Krämpfen und Schmerzen dagegen gewehrt, dass ihm das ihn belebende Pemolin aus unerfindlichen Gründen plötzlich vorenthalten wurde. Je elender niedergeprügelt vom Entzug er in den ersten Tagen dalag, umso wilder schrie die Manie ihre Pläne, Befehle und Geschäftsphantasien ihm zuerst ins Hirn, er dann all dies, wie von ihm selbst gehört, hinaus in die Welt. Holtrop wurde für verrückt erklärt. Der Rücktransport aus Paris verzögerte sich, weil die französische Ermittlungsrichterin die von Holtrops Anwälten gestellte Sicherheit unzureichend fand,dann in die Sommerferien gefahren war und der Vertretung die Akte zu übergeben vergessen hatte. Mehrere Nächte lag Holtrop gefesselt in der für Tobsuchtspatienten mit Gegenständen zur Folter ausgestatteten Einzelzelle der geschlossenen Abteilung, drohend erschien in der Mitte der Nacht ein riesengroßer Mann im langen schwarzen Ledermantel in der Türe, eine schwarze Hasskappe über das Gesicht gezogen, einen Baseballschläger in der Hand, blieb in der Türe stehen und hielt sein maskiertes Gesicht in Richtung des auf der nackten Pritsche gefesselt daliegenden Holtrop. Wenn Holtrop schrie, kamen drei Pfleger herein, die ihm ohne ein Wort zu sagen Beruhigungsmedikamente in den gewaltsam von ihnen aufgespreizten Mund und möglichst tief in den Rachen hinein drückten, um so den Schluckreflex auszulösen, einmal bekam Holtrop eine Spritze durch sein Krankenhemd hindurch direkt neben das Sternum in die Brust gerammt, eventuell tatsächlich intrakardial verabreicht. Ein klein wenig nur zu sehr hatte Holtrop sich mit seinem vielleicht zweiminütigen Ausbruch im George V am falschen, nämlich öffentlichen Ort aus der Normalität der Welt hinausgelehnt, und schon hatte die Welt ihn aus ihrer Normalität gänzlich ausgestoßen und hinein in einen Orkus der Rechtlosigkeit verbannt, auf unbestimmte Zeit. In Deutschland wurde Holtrop, angeblich zu seinem eigenen Schutz, in eine kleine, privat geführte Irrenanstalt am Tegernsee verbracht, von dem dortigen Chefarzt für unzurechnungsfähig und selbstmordgefährdet erklärt und mit dieser rechtlich unangreifbaren Handhabe über zwei Monate gefangengehalten und gefoltert. Die extrem hoch dosierten Antiparanoika, die Holtrop hier verabreicht wurden, dämpften, wie von dem behandelnden Stationsarzt Dr. Hayel vorhergesagt, die Manie, führten aber über den gefürchteten Reboundeffekt zur medikamentös nicht mehr erreichbaren Durstdepression,auf die hier am Tegernsee mit der sogenannten Wechselschocktherapie reagiert wurde. Eine Spezialität der hiesigen Anstalt war die nach Ansicht des Chefarztes zu Unrecht in Vergessenheit geratene Eiswassertherapie, mit der Holtrop alle zwei Tage, im Wechsel mit der Elektrokrampfstoßtherapie, als sogenannter Wechselschockpatient behandelt wurde: Dienstag und Donnerstag Elektrokrampf, Montag, Mittwoch und Freitag Eiswasserbad. Vergeblich wartete Holtrop auf eine Nachricht von draußen. Auch das war Teil des Tegernseer Therapiekonzepts, den Kontakt mit der die Krankheit koproduzierenden Altumwelt des Patienten für eine erste Ausglühphase der Verrücktheit völlig auszusetzen. Am Sonntag gab es zur Einübung in den Weltkontakt die Möglichkeit, zu dem von der CSU -Seniorengruppe Tegernseebund im Vorraum der Gesundwassertrinkhalle veranstalteten Kurkonzert zu gehen, wo die sogenannten Donalfonskosaken beliebte Melodien von Gunther Gabriel und Heiner Schirner-Schlaffer spielten. Holtrop ging nur einmal hin. Am Tag der Wahl zum neuen Bundestag hatte Holtrop die von ihm geforderte Selbstvernichtungserklärung freiwillig unterschrieben, anders als Jenny Gröllmann, fünfhunderttausend Leute stünden seither Schlange, die von ihm erlassenen Tagesbefehle, egal ob im Neuen Deutschland publiziert oder in der alten Deutschen Allgemeinen, zu lesen oder und auch zu befolgen! Dieser Rückfall in die Manie wurde von Dr. Hayel mit der iterierenden Nachschockmethode behandelt, Insulin, Doxycyclin, Dexamethason und Methadon in streng

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