Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)
der Firma vieles erledigen konnte, was tagsüber liegengeblieben war.
Assperg hatte die unabhängige PR -Agentur PUBLIC SWORD vor vier Jahren gekauft, an die Börse gebracht und zum erfolgreichsten Berliner Anbieter für alle internetbezogenen Dienstleistungen gemacht, Kommunikation, E -Marketing, Webseiten, Programme. Der Börsenkurs hatte sich Anfang März 2000 um das über Dreißigfache gesteigert, von 12 auf 380 Mark, alle waren reich geworden, die Firma kaufte international ähnliche, andere, größere Firmen dazu, die Wachstums- und Erfolgsgeschichte von Public Sword war der Inbegriff von New Economy, und an manchen Tagen hatten die Gründer mehr mit Reportern, Porträtisten, Lifestyle-Experten und Interviewern zu tun als mit Kunden oder Mitarbeitern. Niemandem kam das verrückt vor, denn es war normal, so schnell konnte man mit den Fingern nicht schnippen, wie alle sich daran gewöhnt hatten, dass es für alles und alle nur noch eine Bewegungsrichtung gab: mehr, höher, größer, geiler, schneller. Holtrop liebte die Firma wie keine andere Asspergunternehmung in Deutschland. Er liebte den Craze,das Provisorische, das Flirren in den Augen der Spinner, die ihm ihre Geschäftsvisionen, Träume und Phantasien als morgen schon herbeigewirtschaftete Realität verkauften, alles Lügen, aber herrlich und von allen geglaubt. Wirtschaft war endlich Kunst geworden, der schönste und größte Weltfreiraum für alle wirklich abenteuerlich gesinnten Menschen, der Kapitalismus leuchtete, hell und wild wie noch nie.
Der Absturz war bitter. Noch steiler, als es je hochgegangen war, ging es jetzt senkrecht und in rasendem Tempo nach unten. Beim Aufschlagen auf dem Boden der Wirklichkeit, der Finanzrealität der Wirtschaft, zerfetzte es die Firma Public Sword. Die Gründer kamen damit nicht zurecht. Mehrmals stand die Firma unrettbar vor der Pleite. Die Schönhausener Controller wurden böse. Wachstum gab es auch noch, aber nur noch negativ: monatlich explodierten die Verluste, die Public Sword machte, ins immer Phantastischere. Kurz vor der Abwicklung der Firma war Holtrop von Thewe auf Leffers aufmerksam gemacht worden. Leffers, 37 , suchte einen neuen Job, Cash Money , von ihm erfunden, gegründet und geführt, noch so eine Erfolgsstory mit leider nur kurzer Brenndauer, hatte eingestellt werden müssen. Leffers war ein alter Boulevardhaudegen, der bei Gosch von unten bis oben in fünfzehn Jahren alles gemacht und nichts ausgelassen hatte, zuletzt waren auch noch ein paar fragwürdige Insidergeschäfte an der Börse dazugekommen, aber bitte, Entschuldigung, wer hatte in diesen damaligen Jahren um die Jahrtausendwende an solchen Börsengeschäften nicht auch ein bisschen mitzuverdienen versucht? Gosch war da jetzt plötzlich ganz etepetete, zum Insiderhandel hieß es in der Krise ultrasauber: »bäh!, buh!, raus!« So stand Leffers in Berlin herum, schüttelte seinen Habichtskopf und die langen, schwarzen, stark geölten Haare und strahlte einen düsteren Tatendurstaus: »Suche Job.« Holtrop mochte Leffers sofort. Leffers passte in die neue Zeit, ein dunkler Don, der anpacken kann. Am ersten Tag bei Public Sword ließ er gleich einmal jeden zweiten bei sich im Glaskabuff anrücken und sagte, selber die Füße am Schreibtisch, breit grinsend zu den Leuten: »Teile ich dir, du weißt es ja eh, die Entlassung mit, ha ha.« Der Witz kam beim Betriebsrat nicht so gut an, humorlose Leute, aber den Krieg, den Leffers gegen den Betriebsrat sofort führte, hatte er mit radikalem Vormobbing und höhnisch gutgelauntem Nachtreten bald gewonnen. Nach zwei weiteren erfolgreichen Entlassungsrunden, »betriebsbedingte Kündigung«, rechtlich alles einwandfrei und unangreifbar, war Public Sword Berlin von 576 auf 80 Leute runtergeschrumpft, und Leffers konnte am überfüllten Markt der arbeitslosen Internetfachkräfte neue Leute einkaufen, billig, jung, loyal, ohne Flöhe und Läuse auf dem Kopf und störende, den Betriebsfrieden belästigende Betriebsratsflausen im Kopf.
»Da bist du ja endlich!« sagte einer im Kickerzimmer, als Leffers hereinkam. Leffers: »Bin ich schon dran?« »Ja.« Sie spielten ein offenes Turnier auf Einzelsieg. Leffers ging zum Kühlschrank. Er nahm sich ein Bier heraus. Dabei schüttelte er lächelnd seine kranke, von ihm selber auch genauso krank gemeinte Mähne, warf sie zurück, fuhr sich mit den krallenförmig eingekrampften Fingern der rechten Hand über die Stirn und durch die Haare, trat an den Kicker und
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