Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)
Rudidutschkehaaren über den scharf zustechenden Augen. Sprißler war ein Unsympath und kultivierte den Habitus des Unsympathen, intellektuell, obsessiv, asozial, das hielt den kumpelig zudringlichen Typ Normalo normalerweise auf Distanz. Bessemerchef Duhm, 40 , noch so eine Ratte, stand von seinem Platz neben Schomburgk auf, kam zu Sprißler hergeschlendert und stellte sich neben dessen Sessel. Sprißler schaute hoch und sagte: »Guten Abend. Was kann ich für Sie tun?« Duhm bemühte sich um einen lockeren Einleitungssatz: »Ich fürchte mich fast zu fragen.« Sprißler, spöttisch: »Die Lokomotive schrie heiser auf, aber das macht ja nichts.« »Bitte?« Sprißler: »Worum geht es denn konkret?« Duhm erkundigte sich nach der Dauer des Theweauftrags. »Da müssen Sie Meyerhill fragen«, sagte Sprißler, um Duhm zu weiteren Erklärungen zu veranlassen. Aus dem daraufhin von Duhm Gesagten ging schnell und deutlich hervor, dass der größte Sicherheitsanbieter von Krölpa, die Bessemer Consult, aktuell in Geldnot war, durch nicht bezahlte Außenstände, auch durch hohe Summen an der Börse in den Jahren des Booms spekulativ eingesetzter, jetzt verlorener Gelder genau genommen kurz vor der Pleite stand, noch genauer gesagt, heute, jetzt, an diesem Freitagabend um halb elf Uhr abends, realerweise bankrott war. Duhm nahm sich einen Stuhl und rückte nahe an Sprißler heran, um invasiver auf ihn einreden zu können. Sprißler schaute sein Whiskeyglas an, dann darüber hinweg ins prasselnde Feuer. »Haben Sie mal eine Zigarre für mich!« sagte Sprißler im Befehlston zu Duhm. Duhm holte eine Zigarre für Sprißler, gab sie ihm, jetzt war Sprißler mit der Anzündeliturgie zu Ehren der Zigarre beschäftigt, und Duhm redete dauernd weiter. Duhm machte Sprißler Komplimente. Duhm argumentierte, als ginge es um Argumente. Dabei wollte er einfach nur Geld von Sprißler, am liebsten in bar. Es war im Verkehr zwischen der Assperg AG und der Bessemer Consult nicht völlig unüblich, dass größere Summen im Kuvert bar übergeben wurden, »fünfzig bis hundert«, sagte Duhm und meinte damit Tausender, »wären eine große Hilfe im Moment«. Dann stellte er die Aussichten auf zukünftige Aufträge und Geschäfte seiner Firma dar, angeberhaft und großsprecherisch, gab sich selbst als harten Hund, der sich von ganz unten zum Bessemerchef hochgearbeitet habe. Ein Satz war schnoddrig, der nächste verkitscht, der nächste feige um Frechheit bemüht. Sprißler wich zurück, Duhm legte nach, jetzt unterwürfig. Da wurde es Sprißler zu viel, er stieß Duhm angewidert, offensiv kalt von sich weg, indem er im Aufstehen halblaut Unsinnsagte: »Zuhause wirft er alles Nasse auf den Müll!« Duhm, der sich auf die Vernünftigkeit seiner Argumentketten, die Stringenz und den phantastischen Materialismus seiner Analysen einiges einbildete, schaute ziemlich dumm zu Sprißler hoch. Das erfreute Sprißler. Er ließ Duhm neben dem leeren Sessel auf dem idiotisch nahe herangerückten Stuhl sitzen und ging weg, in das andere Zimmer hinüber. Auf seinem Blackberry sah Sprißler die neuesten Nachrichten aus Bad Hönow. Thewe war noch wach und in seinem Haus allein aktiv.
Als Sprißler um halb zwölf den Boriéclub angenehm angetrunken und vom Rauch der Zigarre höchst effektiv spiritualisiert verließ und aus dem Haus heraus und auf die Straße trat, war die Schneefront auch in Krölpa eingetroffen. Es schneite schwere dicke weiße Flocken, hellweiß senkten sie sich festlich nieder und tauten unten auf den glänzend schwarzen Straßensteinen aufgekommen sofort weg. Sprißler zog die Schultern hoch, raffte seinen dunklen Ledermantel vor der Brust zusammen und ging mit ausgreifenden Schritten quer durch die vom Neuschnee turbulent erneuerte Welt nach Hause.
XXIV
für ihn war ja keine Ruhe
und Hoffnung im Tode
Weil die Kaltfront von Nordosten her kam, hatte in Berlin und um Berlin herum der Schneefall früher eingesetzt. Die Bäume in den Wäldern bei Bad Hönow tropften, auch die Tannenzweige, zuerst vom Regen, dann vom Schnee. Seit neun Uhr abends saßen die beiden AußendienstmitarbeiterJimenez und Bieganowski in der Kleingartenanlage Meedehornsonne im Gebüsch unter einer schützenden Plane am Ufer und observierten als selbstständiges Einzelteam die Thewesche Villa auf der gegenüberliegenden Uferseite. Bieganowski steuerte das von ihm mitgeführte Tonaufzeichnungsgerät, achtete auf die akustische Verstehbarkeit des Gesagten, die Korrektheit
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