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Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Titel: Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainald Goetz
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der automatischen Aussteuerung der Aufnahme, die inhaltliche Auswertung der Aufzeichnungen war natürlich nicht Gegenstand des Auftrags vor Ort, den Bieganowski mit seinem freien Mitarbeiter Jimenez für den Berliner Direktdienstleister CORREAL erledigte, sondern wurde zentral im Büro der Thüringer Detektei Bessemer in Krölpa vorgenommen, wohin die Correal stündlich durchgab, was zuvor von Bieganowski an die Correal gemeldet worden war, die Aufklärung des Aufenthaltsorts von Thewe und der mit ihm in Kontakt tretenden Kontaktpersonen. Jimenez saß auf einem Klappstuhl neben Bieganowski, auch die Plane über ihnen tropfte am Rand, Jimenez rauchte und schaute manchmal durch seine stativgestützte Nachtsichtapparatur hinüber zur Villa. Die Villa war ein moderner, zweistöckig an den Hang hingekauerter Bungalowbau, hell, flach, breit. Auf der Seeseite, von gegenüber sichtbar, hatte das Haus im unteren Stockwerk durchgehend gläserne Wände, alle Vorhänge offen, bei den Einzelfenstern oben waren die Vorhänge zugezogen. Der Fernseher im Wohnzimmer unten war eingeschaltet, aber auf stumm gestellt, Thewe telefonierte einmal kurz, saß dann in einem Sessel und trank Wein, stand auf, ging hinaus, kam zurück und setzte sich, stand wieder auf, ging hoch und kam wieder zurück. Das Verhalten wirkte unruhig, von schnellen Einfällen fahrig gesteuert, aber auch wie das normal wirre Agieren des allein lebenden Menschen, der sich keiner Beobachtungsinstanz ausgesetzt fühlte und dadurch von nichts diszipliniert. Dannwar Thewe hochgegangen und nicht mehr zurückgekommen, null Uhr fünfzehn, die Lichter im Parterre waren angeschaltet geblieben. Im Wohnzimmer leuchtete neben dem flimmernden Fernseher eine Stehlampe. Von seinem Handy aus hatte Thewe eine Sms, die von Bieganowskis Empfangsgeräten registriert und aufgenommen worden war, abgeschickt, dann das Handy ausgeschaltet. Geräusche im Bad waren zu hören, Geräusche im Schlafzimmer, dann wieder im Bad, dann war es ruhig geworden. Punkt ein Uhr gingen, offenbar zentral gesteuert, im ganzen Haus alle Lichter und elektrischen Geräte aus. Im Büro der Correal, einer Eineinhalbzimmerwohnung in Steglitz, wurde von der dort heute Nacht diensthabenden Frau Speitkamp auf den jeweils zur vollen Stunde eintreffenden Anruf von Bieganowski hin ein entsprechender Eintrag in der für Thewe angelegten Protokolltabelle an der entsprechenden Stundenstelle gemacht, wodurch dokumentiert und zur Weitergabe an die Bessemer in Krölpa festgehalten war, was passiert war und dass sich insofern nichts geändert hatte, als Thewe weiterhin allein in seiner Villa in Bad Hönow anwesend war.

XXV
    Holtrop hatte sich die von ihm benötigten Tabletten innerhalb von zwanzig Minuten bei einer Apotheke am Bahnhof Zoologischer Garten problemlos selbst besorgen können, war nocheinmal ins Hotel gefahren und hatte jetzt beim Anziehen konkret diese Vorstellung: Wenn es sich wirklich herausstellen sollte, dass der Mensch sein Schicksal nur in Bezug auf die Menschheit als ganze erkennen und verwirklichen könne, könnte die gesellschaftliche Polymorphie ihre konkrete Peripetie ja auch selbst herbeiführen, »individuell!« dachte Holtrop, er war mit diesem Gedanken aber vom eigentlichen Hauptgedanken abgeschweift. Er stand in seinem Hotelzimmer mit weit geöffneten Augen vor dem Spiegel, dann auf dem Bett, stand da kurz und fasste sich wieder bei dem anschließenden, konsequent finanzlogisch strukturierten Wenndannkalkül: Wenn es morgen in New York um drei Uhr nach der Besprechung Rossfield fünf Uhr wird, dann nach dem Termin Pereire, Leiters, Brasch, also etwa gegen sechs, das wäre zwölf in London, das Ergebnis vorläge, dass man die durch Zeitverschiebung und den Vorsprung dort gegenüber hier um einen halben Tag beschleunigte Besitzerstattung dem Gegenkonto Perim International noch gutzuschreiben hätte, wären wir mit dem Bilanzgewinn konkret, nehme Verlust mal zwei Punkt Komma, Faktor zwölf: bei an die 2 , 6 Milliarden! Anruf bei Ahlers, »ich hoffe ich störe nicht«, habe er denn den Zeitgewinn aus Rückverrechnung gegenüber erstgestellten Fälligkeiten wie besprochen einbezogen? »Was?! Natürlich, danke, gut, bis morgen.« Und dann sofort, Holtrop sprang vom Bett auf den Boden, das Abschlusskalkül: Wenn ersteinmal auch noch die Flaschen, von denen wir noch umstellt sind, entsorgt sein werden, Finanzflasche Ahlers, Schleimflasche Wenningrode, Angstflasche Assperg, Egoflasche Leffers und

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