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Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Titel: Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainald Goetz
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Flascheleerflasche Thewe usw, dann wird auch der Mensch als Individuum wieder seiner moralischen Bestimmung sinnvoll, das heißt jenseits von Streben nach Ehre, Gewalt und Geld, nachkommen und gerecht werden können und die Leidenschaften von Tugenden bestimmt sein, die Uhrzeit vom Moment. Holtrop war spät dran, es eilte, er eilte, das rechte Maß aber von temperantia, fortitudo und prudentia stets im Blick, was halten Sie übrigens, hatte Holtrop zuvor seine Mitfahrerin Frau Zegna unvermittelt gefragt,weil es ihm ebenso unvermittelt in den Sinn gekommen war beim Thema Ruhm, vom Konzept der TODSÜNDE ? Holtrop nahm noch eine dritte Tradon, schlüpfte in seine Schuhe und lief zum Aufzug.
    In der Halle wartete Terek, sie fuhren los, draußen hatte es inzwischen zu schneien angefangen. Im Licht der Scheinwerfer tanzten die Flocken. Die Fahrt ging quer durch die nächtlich leuchtende, weiß sich einhüllende Stadt, Holtrop schaute aus dem Fenster, dann waren sie da. Beim Betreten des Dobrindt wurde Holtrop von einem ihm nicht bekannten Chef mit Handschlag begrüßt und zum Tisch von Leffers geführt, »bittesehr«, »dankeschön«. »Ich hoffe«, sagte Holtrop und streckte Leffers seine Hand heftig hin, »ich habe Sie nicht zu lange warten lassen.« Leffers: »Eine Stunde, kein Problem.« »Sehr gut«, Holtrop setzte sich, bestellte Wein und sagte dann nach ein paar einleitenden Sätzen: »Es geht um Thewe, die Stelle von Thewe wird frei. Wollen Sie zu mir nach Krölpa kommen?« »Zu Ihnen?« fragte Leffers. »Und nächstes Jahr«, fügte Holtrop hinzu, »wenn Wenningrode geht, nach Schönhausen!« »Nach Schönhausen«, sagte Leffers und nickte und schüttelte den Kopf, und sein Entsetzen war ihm deutlich anzusehen. Deswegen hatte Thewe ihn heute Abend also unbedingt sprechen wollen. Wie man in der Strafkolonie Krölpa kaputtgeht, hatte Leffers an Thewe sehen können, auch wenn man nur drei Tage die Woche zum Arbeiten dort war. Um anschließend nach Schönhausen zu wechseln, von wo aus jede Flucht definitiv unmöglich war, Schönhausen war so sehr mitten in Deutschland, in der innersten Mitte der deutschen Provinz gelegen, dass man sich auch in die sibirische Verbannung schicken lassen könnte, wenn man per Dienstverpflichtung gezwungen war, dort zu arbeiten und zu leben. Leffers schaute sich im Dobrindt um, eine nicht sehr spektakulär luxuriöse Edelbar im besten altenWestberliner Charlottenburg, nicht einen einzigen derartigen Laden gab es in Schönhausen, davon gab es hier zwei, drei, vier Exemplare, zusätzlich zu den neu im Osten der Stadt eröffneten Lokalen. Krölpa war schlimm, aber der von Tradition und Enge zubetonierte und ganz und gar der Monomanie des Weltfirma gewordenen Privatirrsinns des alten Assperg unterworfene Provinzhorror von Schönhausen war wirklich die Hölle, unentrinnbar, wenn man erst einmal dort war. Immer noch nickte Leffers. Holtrop schaute ihn an, er kannte die Unlust, nach Schönhausen zu gehen, von sich selbst und freute sich umso mehr, heute hier in Berlin zu sein. Es war auch klar, dass Leffers ein derartiges Angebot gar nicht wirklich ablehnen konnte, dass Holtrop zwar die Form der Frage gewählt hatte, es sich in der Sache aber natürlich um eine Anordnung, eine Abordnung zu den Orten hin handelte, an denen Holtrop seinen leitenden Asspergangestellten Leffers gerade am besten brauchen konnte. »Klar«, sagte Leffers, dem das auch bewusst war, das könne er sich schon vorstellen, nach Krölpa zu gehen und dann nach Schönhausen, obwohl das jetzt für ihn sehr plötzlich komme. »Was heißt da plötzlich«, rief Holtrop aus, »wir reden hier von Anfang Januar 2002 , das sind noch mindestens vier, nein: fünf Wochen!« Da sei er selbst früher, als er in Leffers’ Alter gewesen sei, in ganz anderem Tempo von der Firma von hier nach überallhin und zurück verschickt worden. Man werde bei Assperg ja auch weit über das durchschnittliche Maß hinaus dafür bezahlt. Leffers widersprach nicht. Holtrop erzählte von seiner Zeit hier in Berlin direkt nach der Wende, bei Dablonskidruck, das sei ein reines Himmelfahrtskommando gewesen, für beide, für Dablonski und für ihn, und wie stünden sie beide heute da usw. Leffers merkte, dass Holtrop ziemlich aufgedreht war, in großen Schlucken trank er den Rotwein, warf sich händevoll die Nüsse in denMund, kaute, trank, redete. Dann wollte Holtrop nocheinmal das Lokal wechseln. Unterwegs telefonierte er mit der Journalistin, die er am

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