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Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Titel: Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainald Goetz
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war, nicht sehr laut in richtung Bild: »Ganz gut gemacht.« Dann ging Mack zum Erklärungsschild daneben und wurde durch die dortigen Worte, Meister der Kreuzigung, erneut zu einem Nicken veranlasst: »Stimmt.« Mack war aus Hannover, wo er einen Nebenarbeitsplatz bei der Privatbank Veerendonck hatte, nach Köln gefahren, er kannte das Museum und seine Bilder als gebürtiger Kölner recht gut, an diesem Mittwochnachmittag war das Museum fast leer, zumindest hier in den Mittelaltersälen. Um fünf Uhr war Mack vor dem GRÜNBÄRTIGEN CHRISTUS mit einem Mitarbeiter der Assperger Beratungsfirma Bessemer Risk Solutions verabredet. Mack ging in den Saal mit dem Christus und setzte sich auf die dortige Bank. Er lehnte den Oberkörper zurück, streckte den Bauch heraus und schaute erwartungsfroh im leeren Saal herum.
    Statt des Jugoslawen im Ledermantel, den Sittl angekündigt hatte, trat Sprißler klein, elegant und giftig auf Mack zu, stellte sich mit zackigem Nicken des Kopfes als »Dr. Sprißler« vor, begrüßte Mack mit dessen Namen und setzte sich neben Mack auf die Bank. Das Wort »Sprißler« hatte Sprißler mit besonders betonter Schärfe und Klarheit ausgesprochen, als müsse es möglichst deutlich vom deutschen Nah- und Hauptwort »Hitler« abgesetzt werden. Mack, der zur Begrüßung eigentlich gerne aufgestandenwäre, schaltete aber sofort um, breitete im Sitzen die Arme aus und sagte: »Freut mich sehr, Herr Sprißler, begrüße Sie in Köln!« Dabei wippte er mit seinem Oberkörper auf der Bank auf und ab, und seine blond gefärbten krauslockigen Haare wippten dabei mit. »Gehen wir doch gleich ins Café!« rief Mack und sprang hoch.
    Auf der Theke des Cafés stand eine Vase mit Rundsockel, aus der ein Strauß gefüllter Frühschnittblumen hellgelb und billig herausragte, daneben waren zwei eingetrocknete Käsekuchen abgestellt. »Was trinken Sie?«, sagte Mack zu Sprißler und zeigte mit großer Geste auf die Theke, »Stück Kuchen?«. Sprißler bestellte Tee, Mack eine Cola, dann gingen sie durch das menschenleere Kleincafé zu einem Ecktisch und setzten sich. Mack erkundigte sich, wie Sprißlers Anreise nach Köln gewesen war, berichtete von seiner eigenen Fahrt, und wie er eben auf den Anlass des Treffens mit dem sofort sehr konkreten Satz »und jetzt braucht Ihr Klient in bar bis wann also wieviel?« zu sprechen kam, läutete Sprißlers Handy. »Den Anruf muss ich leider nehmen«, sagte Sprißler, als er auf dem Display Holtrops Bürochef Riethuys sah, entschuldigte sich, stand auf und ging zum Telefonieren in die Vorhalle des Museums hinaus. Die schlechte Nachricht aus Schönhausen hatten einen Namen: Thewe.

VII
    Jetzt also war die Leiche von Thewe, von Tierfraß stark verstümmelt, in einer Waldung zwischen Bad Hönow und Gut Heiligensee von Spaziergängern aufgefunden worden. Als Todesursache wurde, wie es überall erwartet worden war, Selbstmord festgestellt. Offenbar hatte Thewe versucht, sich zu erhängen, es waren noch Spuren von Würgemalen am Hals, durch einen STRICK verursacht, festzustellen, der Tod war aber nicht durch Genickbruch oder Ersticken eingetreten, sondern durch ein generalisiertes Herzkreislaufversagen infolge einer Unterkühlung, im Blut waren hohe Dosen von Barbituraten und Alkohol gefunden worden.
    Auf den Bürofluren von Krölpa und Schönhausen war nach Bekanntwerden dieser Todesumstände sofort viel darüber geredet und spekuliert worden, ob es ein letztlich ganz angenehmer Tod für Thewe gewesen war, offenbar schwerstens betrunken eingeschlafen und bewusstlos in den Tod hinübergedämmert zuletzt, oder ob er vom Versuch der Selbststrangulation mit dem bei der Leiche gefundenen Strick noch so viel mitgekriegt hatte, dass ihm das Scheitern dieses Versuchs noch bewusst geworden war, im Sinn eines letzten Bilanzgedankens etwa: und noch nicht einmal dazu bin ich in der Lage, mich selbst erfolgreich aufzuhängen. Je weiter weg von Thewe die Menschen waren innerlich, die sich in derartigen Spekulationen über Strick und Ast und Sturz vom Baum, noch lebendig Aufschlagen am Boden anstatt tot, zu Tode noch nicht stranguliert, am Hals im Baum baumelnd hängen usw, ergingen, umso lustvoller wurden alle Details und Geschehensmöglichkeiten ausphantasiert und diskutiert und in möglichst anschauliche Bilder schrecklicher letzter Lebensmomente übersetzt, aus Interesse am Spektakel und der Lust der Teilhabe an grausiger Realität, ausnahmsweise einmal ganz in der Nähe des eigenen

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