Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)
Lebens.
Die schönen Tage auf Reisen waren für Holtrop fürs erste vorbei.
VIII
Holtrop saß in einem Besprechungszimmer des Grand Hyatt Hongkong, als er auf seinem Blackberry den Anfang des Porträts zu lesen bekam, das heute in Deutschland in der Wochenzeitung Die Woche über ihn erschienen war. Unter der Überschrift DER ZUKUNFTSFREAK hieß es da: »Die Hälfte seiner Arbeitszeit verbringt der rastlose Firmenchef in den USA .« Die andere Hälfte, hätte es heißen müssen, in Fernost, dort war Holtrop inzwischen sogar noch öfter als in New York. Hier hatte man schon den ganzen Tag gearbeitet, wenn in Deutschland die Leute gerade erst ihre Computer anmachten, das war ein täglicher Vorsprung, näher an der Zukunft ging hier die Sonne abends unter, hinter den neuesten Hochhäusern auf der anderen Seite des Hafens im Dunst. Vor dem Fenster standen zwei von Holtrops Gesprächspartnern, die eine Verhandlungspause erbeten hatten, und beredeten sich halblaut auf Chinesisch. Die Übersetzerin rauchte eine Zigarette. Und der den hiesigen Asspergstützpunkt befehligende junge Mann, Christopher Magnussen, Mitte dreißig, graziler Typ mit fülligem Gesicht, extrascharf gescheitelten blonden Haaren darüber und einer sehr glatten blassen Haut, stand am anderen Ende des Zimmers in der Ecke, rauchte ebenfalls und telefonierte mit leiser Stimme.
Holtrop überflog den Text des Porträts. Die Tendenz war positiv, das war sofort zu sehen, das war das einzige, was ihn interessierte. Die Journalistin berichtete von der Autofahrt nach Berlin, dann vom Ende des Abends mit Leffers in der Paris Bar. Wie immer wunderte sich Holtrop, wie gut das klang, was er in Interviews und Porträts schriftlich zu sagen bekam, was er angeblich gesagt hatte. Der Text seiner Rede klang fertiger und besser, als das Gesagte sich beim Reden für ihn selbst angefühlt hatte. Dieser Verwandlungseffekt gefiel Holtrop. »Was ist, ist, das langweilt mich!«, stand da, das hörte sich gut an in Holtrops Ohren, das schaute gut aus, besser als der Gedanke, von dem er gar nicht mehr wusste, dass er ihn so klar ausgesprochen hatte, sich in seinem Kopf dargestellt hatte, härter, zugespitzter und radikaler, so wie die ganze Passage mit der Vision einer zukünftigen Wirtschaft, den Weltentwürfen, dem von Holtrop gegen die Fachidioten in den Finanzabteilungen favorisierten visionären Kapitalismus usw, Holtrop bekam beim Lesen Lust, ein ganzes Buch in dieser Art zu machen, und sein Blick ging von dem kleinen textgefüllten Bildschirm seines Mobile hoch und durch das Fenster des Hotelzimmers nach draußen, wo er dieses Buch in der Ferne schon vor sich sah, sein Leben, seine Ideen, seine Philosophie: Johann Holtrop, Die Freiheit der Wirtschaft, eine Streitschrift, oder so ähnlich. »Auch ein Roman wäre denkbar«, dachte Holtrop, man hatte ihm eine Professur angeboten, in Wiefelspütz oder Wermelskirchen, egal, es gab Möglichkeiten jenseits der Maloche, daran fühlte sich Holtrop durch diese Gedanken beim Blick aus dem Fenster erinnert: Assperg war nicht alles. Asien brachte Holtrop jedesmal auf gute Ideen, das war die Ferne und der Osten vielleicht, die andere Luft hier, die Kälte, die Wärme.
»Sagen Sie mal«, sagte Holtrop in Richtung von Magnussen, »für wann haben Sie denn den Tisch bestellt?« und wendete sich zugleich, während Magnussen sein eigenes Telefongespräch unterbrach und näher kam, wieder seinem Blackberry zu, um per Mail bei Dirlmeier zehn Exemplare der heutigen Woche zu bestellen. Holtrop hatte natürlich kein Gespür dafür, dass das Porträt, das ihn so übertrieben positiv zeigte, auf andere Leute verlogen, penetrant oder gar richtig abstoßend wirken, ihm dadurch insgesamt sogar schaden könnte. Mitleidig und leicht blasiert schaute Magnussen auf den da sitzenden Holtrop herunter, wie der konzentriert seine Tastatur beim Schreiben der Mail bediente, Magnussen wartete und sagte nichts. Erst als er sich wieder abdrehte, um weiterzutelefonieren, reagierte Holtrop, hob den Kopf und schaute Magnussen ungeduldig an: »Und?« »Wie besprochen, acht. Wollen Sie verschieben?« »Wieso denn?!« rief Holtrop mit lauter Stimme, weil die von ihm selbst initiierte Interaktion mit Magnussen ihn in diesem Moment mehr beanspruchte, als er erwartet hatte und als es ihm angenehm war. Holtrop startete zwar immer bis zu fünf Aktionen gleichzeitig, das entsprach seinem Selbstbild vom hyperaktiven Mensch und Macher, der immer maximal unter Strom steht und
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