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Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Titel: Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainald Goetz
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Es ging um eine 51 -Prozent-Beteiligung der Assperg AG an Chinas erstem privaten Fernsehsender Star TV , Holtrop sah sich in seinem Interesse an diesem Geschäft dadurch bestätigt, dass auch Murdochs News Corporation in den letzten Monaten Interesse an Star- TV gezeigt hatte. Vom Aufsichtsrat war Holtrop ein Verhandlungsrahmen von bis zu 350 , höchstens 400 Millionen Dollar zugesagt, da würde er eben jetzt nocheinmal 150 Millionen auf eigene Kappe drauflegen müssen. In den Nebenzimmern saßen die Anwälte, die die Feinheiten ausverhandeln würden.Aber zuerst und am Ende ging es um den Preis. Von der neuen Offerte waren die Chinesen beeindruckt, beinahe geschockt. Sie stimmten sofort zu. Holtrop war sich plötzlich unsicher, ob er jetzt auf einen Schlag zu viel geboten hatte. Er stand nocheinmal auf, ging ans Fenster, sprach ein kurzes Kleingebet: »lieber Gott, bitte hilf mir!, danke!«. Dann kam er zurück zum Tisch. »Wir machen das so!« sagte er, zeigte seine weißen Zähne und streckte den Partnern die Hand entgegen. Die Chinesen lachten und schlugen ein. Die Anwälte wurden hereingerufen und beauftragt, auf Basis des neuen Angebots noch heute Abend einen Vorvertrag auszuverhandeln. »Ich unterschreibe nichts«, sagte Holtrop zu dem jungen Partner der englischen Law Firm Freshfields, der das von Assperg gemietete Team hier in Hongkong führte, »was länger als zwei Seiten ist, bei einem Vorvertrag!« Der Anwalt sprach so, als wäre er der gleichen Ansicht, aber vielleicht redete er auch nur dem Klienten Holtrop, der ein bisschen hysterisch auf ihn wirkte, das ins Gesicht zurück, was der hören wollte. Holtrop packte seine Mappe, »los, Magnussen!« rief er, »gehen wir endlich essen! Und was ist jetzt mit den Herren?« Damit waren die Chinesen und die Dolmetscherin gemeint.
    Das Restaurant Grissini im Grand Hyatt, wo der Tisch reserviert war, war, so Magnussen, eines der besten der Stadt. Ohne derartige Superlative ließ Holtrop sich ungern abspeisen, der beste Champagner, der beste Wein, der allerbeste Laden, Holtrop ging es dabei nur um den Kennerschaft und Wertungskraft aussagenden Verbalindex, dem gar keine Erfahrung entsprach. Holtrop wusste überhaupt nicht, wie sein angeblicher Lieblingswein schmeckte, er wusste nur den Namen. Bei Tisch dann wiedereinmal die unvermeidliche, weil von allen so geliebte, ganz große Operette: die Kellner, die Kerzen, das Kommen und Ge-hen der Gänge, Gläser und Bestecke, das Essen darauf, dieFrüchte des Meeres, der Berge, der Wüste und der Stadt. Dann und wann lehnte Holtrop sich angetrunken zurück, breitete die Arme aus und rief: »Sand, mehr Sand!« Damit waren zuerst die Muscheln gemeint, dann das Licht, Goethe, dessen Namen die Chinesen höflich nannten. Auch an diesem Abend drang nichts Persönliches von irgendjemandem am Tisch, weder von den Chinesen noch von Magnussen, zu Holtrop hin durch. So fühlte er sich gut.
    Gegen elf Uhr abends kam er in sein Zimmer zurück, schaute das von den Anwälten für ihn bereitgelegte Memo des Vorvertrags an und legte sich mit der Aussicht schlafen, morgen am Vormittag diese rechtlich ja sowieso unerhebliche Absprache, die Transaktion zu den vereinbarten Bedingungen abzuwickeln, gemeinsam mit den Chinesen zu unterzeichnen. Aber am nächsten Morgen erreichte Holtrop die in diesem Augenblick für ihn relativ unpassende Nachricht von Thewes Suizid.

IX
    Seit Thewes Verschwinden im vergangenen November war die Frage nur noch gewesen: wo und wie wird er gefunden? Thewe habe versucht, sich zu erhängen, erklärte Dirlmeier am Telefon, es seien bei der Obduktion der Leiche entsprechende Spuren festgestellt worden, der Tod sei letztlich aber durch Unterkühlung eingetreten. Wodurch die Leiche identifiziert werden konnte, wusste Dirlmeier nicht. »Dann rufen Sie doch dort an!« schrie Holtrop, »das wird man doch wohl noch erfahren dürfen. Ist ja nicht zu glauben!« Dabei haute Holtrop, der noch in seinem blaurot gestreiften Schlafanzug war und seine Suite empört ablief, die Zimmer durchtigerte, das Papier der Anwälte, dasgleich unterzeichnet werden sollte, gegen die an ihm vorbeirasenden Möbelstücke, den Schreibtisch, das Sofa, den Stuhl, die Lampe, das Bett, zuletzt gegen die Fensterscheibe, vor der er stand. Unten sah man die aufgeblasene Schwellkörperskulptur des Convention Center riesig und hell im Morgenlicht daliegen, dahinter den Binnenhafen, von Schiffen durchpflügt. Holtrop drehte sich um. Sanfte Farben, hellbeiges

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