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Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Titel: Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainald Goetz
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Holz, hellbraunes Leder, indirektes mildes Licht und sandfarben heller Boden: »ja«, dachte Holtrop, »gut!«, sagte dann, »wann ist denn die idiotische Beerdigung?« »Laut Testament«, sagte Dirlmeier, »aha!, ein Testament!« rief Holtrop mit einem hysterischen Lacher dazwischen, »wollte Thewe sich verbrennen lassen.« »Ist doch völlig egal, ob er in der Urne oder im Sarg beerdigt wird.«
    Der Freveltext vergnügte Holtrop. Dass Thewe zum Abschied noch eine solche Soap aufführen würde, war für Holtrop der größte Witz, seine eigenen leichenblasphemischen Abwehrwitze kamen ihm demgegenüber nur zu berechtigt vor. Ein Mensch, der sein Leben den anderen absichtlich tot vor die Füße schmeißt, braucht sich nicht zu wundern, wenn die mit ihren Fußtritten dagegentreten. » WAS ?« schrie Holtrop, der Dirlmeiers Erklärungen zum Pressetext, den Assperg morgen herausgeben würde, nicht ganz verstanden hatte. »Hat Flath den Text schon fertiggemacht?« fragte Holtrop und ging ins Bad, um sich die Zähne zu putzen. Dann redete Dirlmeier, Holtrop stocherte mit der Zahnbürste in seinem Mund herum, wodurch er Dirlmeier kaum verstehen konnte. »Kann Sie kaum verstehen, Dirlmeier!« rief Holtrop kaum verständlich, »schicken Sie den Text, ich melde mich!« Dabei unterbrach er die Verbindung und warf das Handy, das sofort wieder läutete, durch die Badezimmertüre nach draußen auf den Boden des sogenannten Living Room. Holtrop zog denBademantel über, schlüpfte in die primitiv bedruckten weißen Frotteeschlapfen des Hotels und schlurfte zum Aufzug, fuhr hinunter in den 11 . Stock, von einer Aufwallung guter Laune erfasst in dem Moment, als er die herrlich luxuriöse Badewelt des Spa betrat. Es roch nach Hölzern, Sauna, Aufguss, edlen Kräutern, Wald.
    Holtrop ging gleich durch zum Fitness Center, ließ sich Badesachen und einen Trainingsanzug geben und setzte sich auf einen Hometrainer mit Blick nach draußen auf den Wasserfall und die Pflanzen der Oase. »Ja, ja, ja«, dachte Holtrop bei jedem Fußtritt in die künstlichen Pedale, weil sein Körper dabei eine solche Wohltat von der Anstrengung der Bewegung empfing. So radelte er fünfzehn Minuten und bedachte Leben und Tod, sein Leben, den Tod von Thewe, die Reise, die vor ihm lag, Shanghai, Peking, und die, die Thewe angetreten hatte, sinnloserweise vor der Zeit und freiwillig. »Wozu?« dachte Holtrop. Was denkt sich so ein Selbstmörder eigentlich, wenn er die Schlinge zuknöpft, die ihn befreien soll von der Qual des Lebens? Wahrscheinlich denkt er wenig. Oder irre viel? »Man weiß es nicht«, dachte Holtrop, und der Unwille dagegen, wie Thewe ihn mit seiner letzten Tat anhaltend und penetrant belästigte, schoss erneut hoch in Holtrop, wurde Zorn. »Diese Null«, dachte Holtrop und stieg vom Rad. Er ging nach draußen, sprang in den Pool und fing zu kraulen an. »Ja, ja, ja«, Thewe war tot, aber er, das merkte er beim Kraulen, »ich, ich, ich«, dachte Holtrop, lebte.
    Zur Unterzeichnung des Vorvertrags hatte Magnussen die für solche Zwecke im Hotel vorgesehene Bibliothek auf dem Mezzanine Floor um halb elf Uhr für eine Stunde gemietet. Holtrop saß in seiner Suite und arbeitete, er hatte sich nach dem Schwimmen massieren lassen, gefrühstückt und nutzte jetzt die Stunde der Stille, während es in Deutschland noch Nacht war, ruhig, und weniger als untertags geredet und gesendet, kommuniziert und intrigiert wurde, der Beginn des kommenden Morgens schon fertig angelegt, jedoch noch nicht wirklich eingetroffen war, über nächtliche Autobahnen die neuesten Tageszeitungen ausgeliefert wurden, in Krölpa das Arrowhochhaus von dem Cleanimpact-Team unter Leitung von KGB -General Dobrudsch konspirativ wieder frisch bearbeitet wurde usw, um in aller Ruhe den gestern gefassten Plan seines Buches SOFORT , »wann, wenn nicht jetzt!«, hatte sich Holtrop etwa zweieinhalb Minuten nach Einnahme der ersten Tablette Tradon um 9:47 Uhr gesagt, in die Tat umzusetzen, hatte sich dazu an den Schreibtisch gesetzt und mit fliegenden Fingern auf dem dicken Hotelpapier, das in der Schublade bereitlag, die Gliederung, die Inhaltsangabe, die Einleitung, das Exposé und das erste, sehr private Kapitel über seine geliebte Großmutter, die ihm deutsche Balladen vorgelesen hatte und so seine Liebe zur Freiheit in Deutschland und zur deutschen Literatur natürlich überhaupt erst geweckt und begründet hatte, nieder, nieder, niedergeschrieben.
    Es klopfte, es klopfte an der Türe.

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