Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)
»Herein!« schrie Holtrop manisch. Die Türklinke wurde betätigt, aber die Türe ging nicht auf. »Was ist?« schrie Holtrop und sprang hoch, stürzte quer durch seine Suite und riss die Türe auf. »Ich sollte Sie abholen«, sagte mit kaum hörbar leiser Stimme und ohne die Lippen zu bewegen das dicklich aufgedunsene Gesicht von Magnussen, das eine halbe Etage unter Holtrop schwebte, und nur die rechte Augenbraue von Magnussen zuckte zweimal skeptisch in die Höhe, eventuell zuckte sie auch nur aus Nervosität. Die Eleganz von Magnussens Anzug und ingesamtigem Aufzug deklassierte Holtrop, der von zuhause Ideale und Ideen, aber in Dingen des Auftretens nur den normalen deutschen Trampelstil mitbekommen hatte. Magnussen kultivierte altenglischen Snobismus, äußerlich, geistig, er war auch sehr reich, das machte ihn unabhängig von Holtrops Allüre: den kaufe ich mir mit Haut und Haaren. Den Job als Asspergrepräsentant Fernost hatte Magnussen nur angenommen, um sich auf seinen Reisen quer durch Asien, die er sowie-so machte, etwas weniger zu langweilen. »Es ist zehn vor halb, soll ich in fünf Minuten nocheinmal kommen?« fragte das blonde Monster höflich. »Wieso denn?« sagte Holtrop, der plötzlich und ohne zu wissen wieso, in unerlaubt mimetischer Weise genauso leise sprach wie Magnussen.
»Kommen Sie rein, ich bin gleich fertig.« Holtrop trat zurück, machte mit der rechten Hand eine in den Raum weisende Geste, der Magnussen folgte. Es war nicht so, dass Holtrop nicht wusste, wie das geht, aber es fehlte jeder Bewegung und seinem Stil als ganzem die in die Zeiten hinunterreichende Tiefenselbstverständlichkeit, ohne die Stil sinnlos war, weil er, egal wie perfekt vorgetragen, stillos blieb. Das Wichtigste kann man nicht lernen, nicht kaufen: Geld, Denken, Scham. Magnussen ging quer durch die Suite zur Sitzgruppe, setzte sich auf das Sofa dort und zündete sich eine Zigarette an. Holtrop nahm den Packen Papiere, der auf dem Schreibtisch lag, und warf ihn vor Magnussen auf den Couchtisch. »Mein neues Buch«, sagte Holtrop, als hätte er schon vier geschrieben, »können Sie lesen. Ich bin gleich bei Ihnen.« Im Bad schluckte Holtrop noch eine Tablette Tradon und schüttete zwei Gläser Leitungswasser hinterher. »Ist dieses Wasser hier eigentlich trinkbar?« fragte Holtrop nach draußen. »Selbstverständlich«, antwortete Magnussen, der zurückgelehnt dasaß, rauchte und die Papiere, die vor ihm lagen, nicht angerührt hatte. Holtrop kam zurück. »Und?« sagte er und deutete auf das Manuskript. »Großartig«, antwortete Magnussen. Dann gingen sie nach unten zum Signing.
X
Die kleinen Gesellschaften, die Kate Assperg auf Schloss Redecke am Bokersee, dem Landsitz der Asspergs etwas außerhalb von Schönhausen, einmal im Monat gab, Samstagmittag, als sogenanntes kleines Frühstück, waren für die Schönhausener Gesellschaft der wichtigste monatliche Termin, das einzige regelmäßige Sozialevent von Interesse für alle. Niemand sonst in der Stadt hatte eine so starke Ausstrahlung auf die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen von Politik, Kultur und Wirtschaft zugleich wie die Asspergs. Und Kate Assperg beherrschte zwar nicht wirklich die höhere Kunst der Geselligkeit, aber die Fähigkeit, ihre Einladungen mit einer diffus generalisierten Leuchtkraft aufzuladen, hatte sie sich beigebracht. Sie wusste genau, wen sie wann einladen musste, wer zu wem passen könnte, wer mit wem in Verbindung gebracht werden wollte oder sollte, und natürlich auch, wen sie, zumindest temporär, von ihren Einladungen ausschließen musste, um die Attraktivität ihres Frühstücks zu steigern. Manchmal gab es ein kurzes Konzert als Beigabe, manchmal ein Kurzreferat zu theologischen oder philosophischen Themen, und immer gab es Frühstück, Sekt, Kaffee und Gespräche im Stehen und Herumgehen, Informationen und Begegnungen, ein höchstkonzentriertes Schönhausen der Arrivierten und Kommenden, auf zwei, drei Stunden zusammengedrängt. Aus der Firma wurden als Sondergäste jedesmal auch Hilfsarbeiter, Packerinnen und LKW -Fahrer dazugebeten, das gefühllos Volkserzieherische daran hatte einen Hau ins Plumpe, Asoziale, wie Kate Assperg auch. Für die regelmäßig eingeladenen Manager aus dem Führungskreis der Firma bestand selbstverständlich Anwesenheitspflicht, das Frühstück war für sie ein nicht unbeliebter, aber auch gefürchteter Termin, weil dort der aktuelle Kurswert einesjeden an der Gunstkursbörse von Kate Assperg
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