John Corey 03 - Nachtflug
»Wenn ich Ihnen dieses Video gebe, könnten Sie dann vielleicht weiter Stillschweigen über diese Sache wahren ... wäre das möglich?“
»Ich könnte Ihnen natürlich sagen, dass es möglich ist, aber das ist es nicht. Sie wissen das, und ich weiß es auch.«
Wieder nickte sie, stand eine Weile reglos da, schaute mich dann an und sagte: »Kommen Sie mit.“
46
Jill Winslow führte mich in ein großes Wohnzimmer im hinteren Teil des Hauses und sagte: »Nehmen Sie Platz.«
Ich setzte mich auf einen Ledersessel vor dem Plasmafernseher. »Ich bin gleich wieder da«, sagte sie.
Sie verließ das Zimmer und ging offenbar zu irgendeinem Geheimversteck. Vielleicht sollte ich ihr sagen, dass es in einem Haus keine Geheimverstecke gibt - in meinen zwanzig Dienstjahren als Cop ist mir noch nie eins entgangen. Aber Mark Winslow war kein Cop; er war ein ahnungsloser Ehemann. Wie lautet doch der alte Witz?
»Wenn du vor deinem Ehemann etwas verbergen willst, dann leg es aufs Bügelbrett.«
Ich stand auf und ging in dem vom Sonnenschein durchfluteten Zimmer umher. An der einen Wand hingen allerlei gerahmte Fotos, und ich sah ihre zwei Söhne, hübsche, anständig wirkende junge Männer. Daneben hingen Fotos von Familienurlauben in aller Welt, dazu eine Reihe Schwarzweißfotos von einer anderen Generation, Leuten, die vor Limousinen, Pferden und Yachten standen und offenbar schon damals viel Geld hatten.
Ich musterte ein jüngeres Fotos von Mark und Jill Winslow, aufgenommen bei irgendeinem offiziösen Anlass - man hätte nicht erkannt, dass sie ein Ehepaar waren.
Mark Winslow sah gar nicht übel aus, hatte aber so wenig Ausstrahlung, dass ich mich wunderte, wie die Kamera ihn überhaupt erfasst hatte.
An einer anderen Wand hingen einige dämliche Golfplaketten, Ehrenpreise, berufliche Auszeichnungen und andere Hinweise auf Mr. Winslows zahlreiche Verdienste.
Auf den Bücherregalen standen einige populäre Romane und die obligatorischen Klassiker, aber hauptsächlich Bücher über Golf und Wirtschaft. Zwischen den Büchern befanden sich allerlei Golftrophäen. Ich schloss daraus, dass der Mann Golf spielte. Mir fiel auf, dass es keinerlei Hinweise auf etwas ruppigere Betätigungen gab, wie zum Beispiel Hochseeangeln, Jagen oder Militärdienst. In der einen Ecke stand allerdings eine Mahagonibar, und ich konnte mir vorstellen, dass sich Mr. Winslow jeden Abend ein paar Martinis mixte und damit zu dröhnte.
Ich meine, ich hatte nichts gegen den Typ - ich kannte ihn ja nicht mal -, und ich lehne die Reichen nicht automatisch ab. Aber ich hatte das Gefühl, wenn ich Mark Winslow begegnete, würde ich ihn nicht auf ein Bier mit mir und Dom Fanelli einladen.
Auf jeden Fall hatte Jill Winslow ihre Entscheidung getroffen, was Mark Winslow anging, und ich konnte nur hoffen, dass sie ihre Meinung nicht geändert hatte, während sie das Video suchte.
An einer getäfelten Wand hing eine weitere Trophäe - ein Ölporträt von Jill, vor etwa zehn Jahren gemalt. Der Künstler hatte die großen, wässrig braunen Augen gut getroffen, desgleichen den Mund, der sowohl spröde als auch sinnlich wirkte, je nachdem, wie man ihn deutete oder was man im Sinn hatte.
»Gefällt es Ihnen? Mir nicht.«
Ich drehte mich um, und sie stand unter der Tür, nach wie vor im Morgenmantel, aber ihre Haare waren ordentlich gekämmt, und sie hatte einen Hauch Lippenstift und Lidschatten aufgelegt. In ihrer Hand war eine Videokassette.
Auf ihre Frage gab es keine richtige Antwort, daher sagte ich: »Ich kann Kunst nur schlecht beurteilen.« Und ich fügte hinzu: »Ihre Söhne sind sehr hübsch.“
Sie nahm eine Fernbedienung vom Kaffeetisch, schaltete Fernseher und Videorecorder ein, zog die Kassette aus der Hülle und schob sie in den Recorder. Dann reichte sie mir die Hülle.
Ich schaute sie mir an. Dort stand: »Mit zwei Oscars ausgezeichnet. Ein Mann und eine Frau.« Und darunter: »Un Homme et une Femme. Ein Film von Claude Lelouch.«
Auf einem Aufkleber stand: »Eigentum des Bayview Hotel -bitte zurückgeben.«
Sie setzte sich auf die Couch und winkte mich zu dem Ledersessel neben ihr. Ich nahm Platz.
»Dieser Mann, Jean-Louis«, sagte sie, »wird von Jean-Louis Trintignant gespielt - er ist ein Rennfahrer, der einen kleinen Sohn hat. Die Frau, Anne, wird von Anouk Aimee gespielt, und sie ist Scriptgirl beim Film und hat eine kleine Tochter. Sie lernen einander kennen, als sie ihre Kinder im Internat besuchen. Es ist eine wunderbare
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