John Grisham
rührte sich nicht vom Fleck und musterte seine Hände. Als sie aufstand, sagte sie: »Dann nennen wir es eben Urlaub, Reverend. Er beginnt sofort, und er ist dann vorbei, wenn ich es sage. Und während meines Urlaubs werde ich so oft in den Whiskeyladen gehen, wie ich will, und Sie und Ihre kleinen Spione können so viel darüber tratschen, wie Sie wollen.«
Er folgte ihr zur Tür. »Regen Sie sich doch nicht gleich so auf, Emporia. Wir lieben Sie alle. «
» Das merke ich.«
»Und wir werden für Sie und ihn beten. «
» Ich bin sicher, dass er sich sehr darüber freuen wird.«
Der Anwalt hieß Fred Mays, und sein Name war der einzige im Branchenbuch, der Adrian bekannt vorkam. Er telefonierte kurz mit Mays, dann schrieb er ihm einen langen Brief. Um vier Uhr an einem Freitagnachmittag parkten Mays und seine Sekretärin vor dem rosafarbenen Haus. Mays nahm seinen Aktenkoffer vom Rücksitz. Dann holte er einen Karton Wein von dem besser sortierten Spirituosengeschärt auf der anderen Seite der Schienen aus dem Kofferraum. Emporia ging über die Straße, um Doris zu besuchen, damit Adrian seine Rechtsangelegenheiten in Ruhe erledigen konnte.
Im Gegensatz zu den Gerüchten, die über ihn im Umlauf waren, besaß Adrian keinerlei Vermögen. Es gab keine geheimnisvollen Treuhandfonds, die vor langer Zeit von irgendwelchen längst verstorbenen Verwandten eingerichtet worden waren. Das von Mays aufgesetzte Testament bestand nur aus einer Seite und verfügte, dass der Rest von Adrians schon fast aufgebrauchtem Geld an Emporia gehen sollte. Das zweite - wichtigere - Dokument enthielt genaue Anweisungen für seine Beerdigung. Als alles unterschrieben und beglaubigt war, blieb Mays sitzen und plauderte bei einem Glas Wein über Clanton. Das Glas war schnell geleert. Mays und seine Sekretärin schienen darauf bedacht zu sein, den Termin so rasch wie möglich hinter sich zu bringen. Sie verließen das Haus mit einem Abschiedsgruß und einem freundlichem Nicken, aber ohne Händedruck, und kaum waren sie wieder in der Kanzlei in der Innenstadt, erzählten sie allen von dem grauenhaften Zustand des jungen Mannes.
Am nächsten Sonntag klagte Emporia über Kopfschmerzen und verkündete, dass sie nicht in die Kirche gehen werde. Es regnete, und das Wetter war eine weitere Entschuldigung dafür, zu Hause zu bleiben. Sie aßen Kekse auf der Veranda und sahen dem Gewitter zu.
»Was machen die Kopfschmerzen?«, fragte Adrian.
»Es geht mir schon wieder besser.«
»Sie haben mir einmal erzählt, dass Sie seit vierzig Jahren kein einziges Mal den Gottesdienst versäumt haben. Warum bleiben Sie heute zu Hause?«
»Mir geht es nicht so gut, Adrian. So einfach ist das.«
»Hatten Sie und der Prediger Streit?«
»Nein.«
»Sind Sie sicher? «
» Ich sagte doch Nein.«
»Sie verhalten sich ganz anders, seit Sie sich neulich mit ihm getroffen haben. Ich glaube, er hat etwas gesagt, das Sie beleidigt hat, und ich glaube, dass es etwas mit mir zu tun hat. Doris kommt immer seltener. Herman nie. Isabelle ist seit einer Woche nicht mehr da gewesen. Das Telefon klingelt nicht mehr so häufig. Und jetzt gehen Sie nicht mehr in die Kirche. Wenn Sie mich fragen, würde ich sagen, Lowtown zeigt Ihnen die kalte Schulter, und das einzig und allein wegen mir.«
Emporia widersprach nicht. Wie auch? Er sagte die Wahrheit, und jeder Protest von ihr hätte falsch geklungen.
Donner ließ die Fenster klirren. Der Wind drehte und wehte den Regen auf die Veranda. Sie gingen hinein, Emporia in die Küche, Adrian in sein Zimmer, wo er die Tür hinter sich schloss. Er zog sich bis auf die Unterwäsche aus und legte sich auf das Bett. Als ich im Sterben lag, Faulkners fünften Roman, hatte er fast durch, obwohl er ihn aus naheliegenden Gründen eigentlich hatte auslassen wollen. Doch er fand das Buch zugänglicher als die anderen und überraschend humorvoll. Nach einer Stunde hatte er es ausgelesen und schlief ein.
Am späten Nachmittag hatte es zu regnen aufgehört; die Luft war klar und angenehm. Nach einem leichten Abendbrot, das aus Erbsen und Maisbrot bestand, zog es sie wieder auf die Veranda, wo Adrian nach kurzer Zeit verkündete, dass sein Magen durcheinander sei und er etwas Wein brauche, wie in 1 Timotheus, Kapitel 5, Vers 23 empfohlen. Sein Weinglas war eine angeschlagene Kaffeetasse mit Zichorienflecken. Nachdem er ein wenig Wein getrunken hatte, sagte Emporia: »Ich habe auch so ein flaues Gefühl im Magen. Vielleicht sollte ich es mal
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