John Grisham
erreichten sie Ford County. Es war noch immer dunkel, und die Straßen lagen verlassen da. Sie fuhren nach Pleasant Ridge zu einer kleinen Pfingstkirche, auf deren Parkplatz sie einbogen und warteten. Im ersten Morgenlicht hörten sie irgendwo in der Ferne einen Motor starten.
»Warte hier«, sagte Leon zu Butch, stieg aus und verschwand. Hinter der Kirche lag ein Friedhof, und am anderen Ende war ein Schaufelbagger im Begriff, das Grab auszuheben. Der Bagger gehörte dem Chef eines Cousins. Um halb sieben kamen mehrere Männer von der Kirche und gingen zum Grab. Leon steuerte den Transporter über einen Feldweg und hielt neben dem Bagger, der seine Arbeit beendet hatte und nun still dastand. Die Männer zogen den Sarg aus dem Transporter und luden ihn sich auf die Schultern. Butch und Leon hoben den Rollstuhl mit ihrer Mutter behutsam auf den Erdboden und schoben sie hinterher.
Sie ließen den Sarg an Seilen in das Grab hinab, die sie wieder herauszogen, als er auf den zehn mal zehn Zentimeter dicken Balken stand. Der Priester las einen kurzen Bibelvers und sprach ein Gebet. Leon und Butch schaufelten ein wenig Erde auf den Sarg, dann dankten sie den Männern für ihre Hilfe.
Während sie wegfuhren, füllte der Bagger das Grab mit Erde auf.
Das Haus war leer, nirgendwo besorgte Nachbarn oder trauernde Verwandte. Sie luden Inez aus und schoben sie in ihr Schlafzimmer, und sie fiel alsbald in tiefen Schlaf. Die vier Kisten wurden in einen Schuppen gestellt, wo sie samt Inhalt verwittern und verblassen würden wie die Erinnerung an Raymond.
Es wurde beschlossen, dass Butch an dem Tag zu Hause bleiben solle, um nach Inez zu sehen und die Reporter fernzuhalten. In der letzten Woche hatte es viele Anrufe gegeben, jemand mit Kamera hatte sich angekündigt. Butchs Chef in der Sägemühle würde das verstehen.
Leon fuhr nach Clanton und hielt am Stadtrand, um zu tanken. Punkt acht bog er auf den Parkplatz von Mr. McBrides Polsterei ein und lieferte den Transporter ab. Ein Angestellter erklärte, dass Mr. McBride noch nicht da sei, sondern vermut li ch beim Frühstück im Coffee shop, da er normalerweise erst gegen neun eintreffe. Leon übergab die Schlüssel, dankte dem Angestellten und ging -
Er fuhr zu der Lampenfabrik im Osten der Stadt und begann wie jeden Morgen pünkt li ch um 8.30 Uhr mit der Arbeit.
Die F ischakten
NACHDEM MACK STAFFORD SEIN BROT siebzehn Jahre lang im Schweiße seines Angesichts mit einer Anwaltskanzlei verdient hatte, die aus einem längst vergessenen Grund irgendwann praktisch nur noch Insolvenzen und Scheidungen bearbeitete, kam es ihm auch Jahre später noch erstaunlich vor, dass ein einziger Anruf alles verändert hatte. Als vielbeschäftigter Anwalt, der sich mit den drängenden Problemen anderer befasste, hatte er zahlreiche Anrufe mit einschneidenden Folgen getätigt und entgegengenommen: Anrufe, mit denen Scheidungsverfahren eingeleitet oder abschließend geregelt wurden, Anrufe, bei denen er schmerzhafte Sorgerechtsurteile übermitteln musste, Anrufe, durch die ehrliche Menschen erfuhren, dass sie ihr Geld nie wiedersehen würden. Überwiegend unangenehme Anrufe. Der Gedanke, dass ein einziger Anruf so schnell zu seiner eigenen Scheidung und Insolvenz führen würde, war ihm nie gekommen.
Der Anruf erfolgte an einem trüben, trostl osen und ansonsten eher ereignislosen Dienstag Anfang Februar, und da es kurz nach zwölf Uhr war, nahm Mack ihn persönlich entgegen. Freda, seine Sekretärin, machte gerade Besorgungen und wollte sich ein Sandwich holen, und weil sie die einzige Angestellte der kleinen Kanzlei war, hatte Mack Telefondienst. Die Tatsache, dass er allein war, sollte sich als entscheidend erweisen. Wäre Freda ans Telefon gegangen, hätte sie den Anrufer mit Fragen gelöchert. Tatsächlich wären in der Folge viele Ereignisse nicht eingetreten, wenn sie auf ihrem Posten im Empfangsbereich der Kanzlei Jacob McKinley Stafford, Rechtsanwaltsgesellschaft mit beschränkter Haftung, gewesen wäre.
Nach dem dritten Klingeln nahm Mack den Hörer des Telefons auf seinem Schreibtisch ab und meldete sich wie üblich mit »Kanzlei«. Da er im Durchschnitt fünfzig Anrufe pro Tag erhielt, von denen die meisten von zerstrittenen Eheleuten und verärgerten Gläubigern stammten, hatte er sich vor langer Zeit angewöhnt, seine Stimme zu verstellen und keinen Namen zu nennen, wenn Freda nicht da war, um die Telefonate zu filtern. Er ging höchst ungern unvorbereitet an den Apparat, aber
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